Es ist ja nicht so, als hätte ich Befürchtungen gehabt, dass Tranquillo Barnetta mit irgendwelchen Star-Allüren aufwarten würde. Dass dieses Interview aber so locker ist, war nicht zu erwarten. Da wurden einige Mails ausgetauscht und kurz auf WhatsApp geschrieben. Wunderbar unkompliziert. "Ostschweizgetrunken" durch die grosszügige Präsenz an der OLMA, ging es bei diesem Gespräch in gleichem Stile weiter. In breitem St. Galler Dialekt wusste er etwa von einer möglichen Rückkehr zum FCSG zu berichten.
Heute frei gehabt?
Nein, wir haben am Morgen trainiert.
Und was macht man da als Fussballer so am Nachmittag?
Wir sind zu viert
oder zu fünft etwas essen gegangen. Dann bin ich nach Hause, da es noch einiges
zu tun gibt - Büro-Zeugs und so weiter. Schliesslich bin ich noch nicht lange
in der neuen Wohnung. Man kann da aber jeweils schon etwas unternehmen. Eben,
essen gehen oder beispielsweise auch ins Kino.
Also kein Hotel?
Schon in einer Wohnung?
Ja genau! In den
ersten Wochen war ich in einem Hotel, dann habe ich eine Wohnung gefunden.
Zurück zu deinem
freien Nachmittag. Findest du der Beruf des Profi-Fussballers wird
unterschätzt? Nicht wenige denken, man verdient viel zu viel für das, was man
leistet.
Das sind dann
natürlich etwas die harten Worte. Klar ist es nicht so, dass wir so trainieren,
wie man es etwa bei einem Leistungssportler sieht. Wenn man aber international
spielt, hat man alle drei, vier Tage ein Spiel. Das bringt natürlich eine
Erholungsphase mit sich, die auch sehr wichtig ist. Körperlich läuft man da
teils am Limit, da sind nur schon Erholungen wie ein Mittagsschlaf sehr
wichtig. Ein anderer Faktor, der bei mir zwar nicht vorhanden ist, darf man
auch nicht unterschätzen. Wenn man eine Frau und Kinder hat und dann nur zwei
Mal in der Woche zu Hause ist, da man zum Liga-Betrieb noch international
spielt, ist schon auch schwer.
Du bist jetzt für
ein Jahr nach Frankfurt ausgeliehen, wurdest vor einigen Jahren bereits an
Hannover ausgeliehen. Wie ist das nun? Willst du einfach Gas geben, um an der
WM dabei zu sein oder identifizierst du dich ab der ersten Sekunde mit dem
neuen Verein?
Nein, Nein! Da
identifiziere ich mich von Anfang an mit dem neuen Verein. Wenn es nur ein
Spiel wäre, würde das Ganze vielleicht etwas anders aussehen. Aber ein Jahr ist
lange, Immerhin eine ganze Saison. Fussball ist ein Mannschaftssport, da will
man im Team erfolgreich sein. Und sowieso: Sobald die Mannschaft erfolgreich
spielt, profitiert jeder einzelne davon. Wenn wir eine gute Saison spielen,
dann wird wohl auch geschrieben: Barnetta hat eine gute Saison gespielt. Man wird
sicherlich positiver wahrgenommen, wenn der eigene Verein erfolgreich ist.
Deine Zeit in
Frankfurt ist vorerst befristet. Im nächsten Sommer geht es, laut Vertrag,
zurück nach Schalke. Machst du dir da Überlegungen vielleicht bei der Eintracht
zu bleiben oder denkst du einfach von
Tag zu Tag und lässt alles auf dich zukommen?
Ich denke von Tag zu
Tag. Im Fussball geht es so schnell, das man schlecht richtig voraus planen
kann. Fakt ist, dass ich bis Sommer 2014 für Frankfurt spiele und dann der
Vertrag bei Schalke weiterläuft. Was aber im kommenden Sommer passiert, kann
ich noch nicht sagen. Da müssen andere Personen zusammensitzen und das
beurteilen. Sowieso: Es ist noch zu früh, um darüber zu reden.
Bleiben wir bei der
Bundesliga. Ein Thema, das ich bereits letzte Woche im Interview mit Ludovic
Magnin aufgegriffen habe, ist die Diskussion in Sachen fehlende Typen. Du hast
noch mit Spieler wie Ramelow und Bernd Schneider gespielt, bist gegen Oliver
Kahn angetreten. Wie siehst du das Ganze?
Das kann schon sein.
Es hat sich halt alles etwas geändert. Viele junge Spieler laufen bereits in
jungen Jahren in den Profi-Teams auf, was früher viel seltener vorkam. Durch
das ist die Zusammensetzung einer Mannschaft natürlich anders. Es sind bereits
viele jüngere Spieler in den Mannschaften vertreten. Hierarchien, wie es sie
früher gab, wo die Jungen nicht sehr viel zu sagen haben, gibt es heute nicht
mehr viel. Es wird eigentlich strikt nach Leistung aufgestellt. Wenn der
17-jährige besser spielt, als sein Kontrahent auf gleicher Position, dann
spielt der 17-jährige. So kann man durchaus von einem Generationenwechsel
sprechen.
Du bist mit 17
Jahren dennoch bereits Stammspieler beim FC St. Gallen gewesen. Zeitgleich hast
du ein Jahr Kantonsschule und eine dreijährige KV-Lehre abgeschlossen. Hilft
dir das im heutigen Leben als Fussballer?
Ich habe sicherlich
sehr viel von dem profitieren können. Es war keine einfache Zeit für mich. Ich
musste alles unter einen Hut bringen. Menschlich aber, hat mich das sehr voran
gebracht. Als ich noch nicht in der ersten Mannschaft spielte, hatte ich am
Abend Training und musste die Hausaufgaben danach machen. In der ersten
Mannschaft trainierten wir am Morgen. Am Nachmittag, als alle Mitspieler frei
hatten, ging ich in die Schule oder ins Büro. Das sind schon Erfahrungen, die
im Nachhinein wichtig für mich sind. Da lernt man auf die Zähne zu beissen. Auf
das bin ich stolz. Auch, dass ich die Lehre erfolgreich abgeschlossen habe. Das
habe ich aber nicht gemacht, um nach meiner Fussball-Karriere wieder auf diesem
Beruf arbeiten zu können. Es wäre sehr schwierig, sich bei einer Firma zu
bewerben, wenn man zehn oder 15 Jahre nichts mehr auf diesem Beruf gemacht hat.
Ich habe es deshalb mehr gemacht, um ein zweites Standbein zu haben. Ich wusste
nämlich damals noch nicht, ob es für eine Fussballer-Karriere reicht. Es gab
mir sehr viel Sicherheit zu wissen, dass ich mit der KV-Lehre noch eine zweite
Möglichkeit besitze.
Du steuerst auf die
30 zu und warst auch neben dem Fussballplatz sehr ehrgeizig. Kannst du dir also
auch vorstellen nach der Karriere etwas zu machen, das nicht mit Fussball zu
tun hat?
Ich kann mir sehr
gut vorstellen danach so etwas zu machen. Im Fussball ist es sicherlich sehr,
sehr schön. Aber es ist dennoch eine eigene Welt. Von dem her könnte ich mir
schon vorstellen, etwas völlig anderes, als etwas mit dem Fussball, zu machen.
Stichwort “eigene
Welt“. Meinst du damit auch dieses immense Medienaufkommen in diesem Sport?
Auch, ja klar! Man
ist täglich der Öffentlichkeit ausgesetzt. Leute, die einige Dinge über dich
lesen, meinen, dass sie dich kennen. Das ist sicher ein spezielles Leben. Das
gehört aber dazu, man gewöhnt sich daran. Deshalb schaue ich das als Teil
dieses Berufes an.
Ist das aber etwas,
das dich stört, diese gewisse Öberflächlichkeit, die der Fussball mit sich
bringt?
Es ist
unterschiedlich. Man lernt natürlich auch viele Leute kennen, kommt schnell ins
Gespräch. Es gibt sehr positive Menschen, denen man begegnet. Es hat aber, wie
gesagt, auch seine Schattenseiten. Wenn Leute denken, sie kennen dich, tun sie
aber nicht. Es gibt also immer zwei Seiten. Ich denke, das gehört dazu und man
muss es akzeptieren. Sonst läuft man Gefahr daran kaputt zu gehen. Es ist Teil
des Berufs, deswegen muss man damit umgehen können.
Zum Sport: Seit du
in Frankfurt bist, hast du alle acht Spiele bestritten. Zufrieden?
Ja, sehr! Ich
glaube, ich habe mit diesem Wechsel alles richtig gemacht. Es ist das schönste,
wenn man jede Woche in der Bundesliga auflaufen kann. Leider war das bei
Schalke nicht immer der Fall, was eine etwas schwierige Zeit war. Bisher konnte
ich aber für Frankfurt jedes einzelne Spiel bestreiten. Ich bin sehr gut
gestartet, als ich gekommen bin. Leider haben wir in den letzten vier Spielen
in der Bundesliga nur Unentschieden gespielt. Von der Punktzahl her, könnte es
daher gerne mehr sein, vor allem weil wir zwei Mal in den letzten Minuten den
Ausgleich kassierten. Von der Leistung her, kann man also zufrieden sein. In
den nächsten Spielen sollen dann einfach möglichst die Einen oder Anderen
Punkte dazu kommen.
Viele sagen, das
Geld spiele keine Rolle. Ein Stück weit ist das mit Sicherheit gelogen. Man
konnte aber lesen, du hättest auf viel Geld verzichtet, um nach Frankfurt zu
wechseln. Bist du also einer, dem das Vertrauen des Trainers und die
Spielpraxis im Hinblick auf die WM wichtiger ist, als die, sagen wir einmal,
Million, die du hättest mehr verdienen können?
Mein Wechsel ist das
wohl das beste Beispiel dafür. Es ist kein
Geheimnis, das ich mehr verdient hätte, wenn ich bei Schalke geblieben
wäre. Mit dem Hintergrund der WM und dass ich in Frankfurt ein guter Verein
habe, bei dem ich auch spielen kann, verzichte ich gern auf ein bisschen Geld.
Und wie du sagst: Klar spielt Geld eine Rolle. Aber durch den Wechsel kann ich
sehr viel mehr spielen und habe die Freude am Fussball wieder zurück. Das war
für mich, auch im Hinblick auf die Nationalmannschaft, viel wichtiger.
Bleiben wir bei der
Nationalmannschaft. Sascha Ruefer, der jeweils eure Nati-Spiele auf SRF
kommentiert, machte bei der Qualifikation für Brasilien eine gewisse
Selbstverständlichkeit für euer WM-Ticket aus. Wie erklärst du dir das?
Ich finde es sehr,
sehr wichtig, dass man diese Qualifikation nicht als selbstverständlich
ansieht. Denn: Wir sind ein kleines Fussball-Land und somit ist es eine grosse
Sache, wenn wir uns für so ein grosses Turnier qualifizieren. Sicherlich ein
Faktor war aber, dass man sich auf diese Qualifikation vorbereiten konnte. Vor
den letzten beiden Spielen führten wir die Gruppe mit fünf Punkten Vorsprung
an. Von dem her ist es nicht mit einer Barrage zu vergleichen, wie 2005, als
wir es eng war, als es emotional war. Dann sind natürlich mehr Emotionen im
Spiel als jetzt, wo man sich etwas vorbereiten konnte. Es kam halt durch diesen
Vorsprung weniger überrascht. Ich glaube aber nicht, dass das heisst, dass wir
uns deswegen weniger freuen würden oder weniger stolz wären – das wäre ein
grosser Fehler.
Sprechen wir noch
etwas über deine Heimat. In einem Interview sagtest du einmal, das sei ganz
klar St. Gallen – klar, dort bist du aufgewachsen. Kannst du aber nach so vielen
Jahren in Deutschland sagen, es ist zu deiner Heimat geworden oder schlägt dein
Herz noch immer für St. Gallen?
Ich glaube schon,
dass mein Herz noch immer in St. Gallen ist. Heimat ist dort, wo man
aufgewachsen ist, wo man seine Freunde hat. Von dem her wird das für mich immer
St. Gallen bleiben. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich mich in
Deutschland nicht wohl fühlen würde. Trotzdem ist meine Heimat die Ostschweiz.
In der Ostschweiz
ist auch der FC St. Gallen zu Hause. Verfolgst du den FCSG regelmässig?
Ja klar! In den
letzten Wohnungen hatte ich immer Schweizer Fernsehen und konnte so immer
wieder Spiele schauen. Wenn es zeitlich passt, schaue ich sehr, sehr gerne.
Natürlich kann man es aber nicht gleich verfolgen, wie wenn man nah dran ist.
Nach den Resultaten informiere ich mich aber immer. Vor allem jetzt, wenn es so
gut läuft. Gerade in der Europa League ist es natürlich phänomenal, was sie da
zeigen.
Bist du dann immer
noch ein bisschen Kind? Wenn der FCSG gewinnt freust du dich riesig oder hat da
schon eine gewisse Distanz Einzug gehalten?
Sicher mit einer
gewissen Distanz. Wenn man aber einmal Fan ist, bleibt man Fan. Auch wenn ich
im Stadion bin, gehe ich lieber hinter das Tor, als auf die Haupttribüne. Dort
sind alle meine Freunde. Von dem her bin ich sicher noch etwas Kind. Es ist
zwar nicht mehr das gleiche, wenn man über Jahre bei anderen Teams gespielt
hat. Ich freue mich aber dennoch riesig, wenn der FC St. Gallen so Erfolge
feiern kann.
Du hast öffentlich
auch nie ein Geheimnis gemacht, dass du zum FCSG zurückkehren möchtest. Welche
Faktoren spielen bei einer Rückkehr eine Rolle?
Ich glaube, das Geld
spielt dann keine Rolle mehr. Der FC St. Gallen ist mein Herzensverein. Falls
es irgendwann klappe würde, will ich den Verein dann natürlich nicht in den
Ruin treibe, weil sie mein Gehalt stemmen müssten. Ich würde da schon entgegen
kommen. Ich hoffe, dass ich irgendwann wieder für St. Gallen spielen kann,
sofern es die Gesundheit zulässt und ich auch etwas leisten kann. Momentan ist
das allerdings noch Zukunftsmusik, da ich noch Verträge habe, die laufen.
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