Auf die Minute genau stehe ich vor der Tür. Es ist zehn Uhr. Klar, etwas nervös bin ich schon vor diesem ersten Interview für Fussball,Schatz. Ich klingle. Die Tür geht auf und da steht er bereits: Ludovic Magnin. Lächelnd, aber ab der ersten Sekunde herrlich unkompliziert. Ich drücke ihm einen Wein und etwas Schokolade in die Hand. Irgendein kleines Präsent sollte es dann schon sein, für den Ex-Nationalspieler. Wenn auch ich mich gefragt habe, was man einer solchen Persönlichkeit schenken sollte. "Der hat doch schon alles", denkt man da. Wir setzen uns und beginnen sogleich mit dem Interview. Magnin redet viel. Nicht aber zu viel. Der Mann hat etwas zu erzählen und hat zu allem eine Meinung. Es scheint, als hätte er bereits eine gewisse Distanz zu seiner Fussballer-Karriere aufgebaut. Viel weiss er von seinem aktuellen Trainerjob in der Junioren-Abteilung des FCZ zu berichten. Dort bringt er, so vermute ich zumindest, so viel Leidenschaft mit ein, wie er es immer als Spieler getan hat. Manchmal lebt sie aber wieder auf, die Vergangenheit. Meistertitel mit Stuttgart und Bremen. Ich meine ein Funkeln in seinen Augen zu erkennen. Nach dem Gespräch gehen wir nach unten, in den Keller. Er öffnet einen Schrank und zeigt mir seine Trikottausch-Errungenschaften. Ich, innerlich damit zu kämpfen diese Raritäten nicht einfach einzustecken und weg zu rennen, lausche seinen Ausführungen. Roy Keane, Thierry Henry, Andres Iniesta, Marcel Desailly oder auch Sammy Kuffour. Fussballerherz, was willst du mehr?
Du warst in deiner
Karriere immer als Spassvogel bekannt. Ich habe Interviews gesehen, wo David
Degen sagte: „Wenn bei uns in der Kabine ein Streich gespielt wurde, war es
immer Ludo.“ Dazu warst du oft mit Mario Gomez unterwegs, bist mit ihm um die
Häuser gezogen. Fehlt dir das?
Zuerst einmal: Was Degen da sagt, stimmt überhaupt nicht
(lacht). Ich war nicht immer schuld, aber meistens. Nein ernsthaft: Natürlich
fehlt es mir. Aber ich muss sagen, dass mir der Fussball nicht fehlt. Es ist
also nicht so, dass ich es irgendwie bereue aufgehört zu haben als Spieler, gar
nicht. Ich bin froh, dass ich nicht sieben Mal pro Woche die Fussballschuhe
schnüren und Intervall-Training machen muss. Was mir fehlt, ist die Kabine, wo
wir viel Blödsinn machten. Oder auch die Trainingslager, wo wir nur Blödsinn
gemacht haben. Das fehlt mir! Allerdings haben wir jetzt beim FCZ eine Gruppe
von Trainer, wo wir auch viel Spass haben, wo wir auch viel lachen. Das Problem
ist nur das Alter. Ich bin einer der jüngsten Trainer in der Akademie. Mit
jungen Spielern, wie ich es meine ganze Karriere erlebt habe, machst du anders
Blödsinn, als mit älteren Menschen. Wir, also ich und Chantale erinnern uns
auch gern an die Zeit in Stuttgart, wo wir Meister geworden sind, weil wir so
eine tolle Stimmung in der Mannschaft hatten.
Diese Stimmung hat
also den Unterschied gemacht?
Ja sicher! Jeden Tag haben wir gelacht, haben wir Blödsinn
gemacht. Ich denke, im Fussball kannst du sehr viel kompensieren. Wenn du den
Kader anfangs der Meister-Saison in Stuttgart anschaust, wir hätten vom Kader
her vielleicht Platz zehn erreichen müssen. Wir hatten bei weitem nicht die
besten Einzelspieler, da waren zehn Teams besser besetzt. Es gab aber keine bessere
Mannschaft. Das war auf neben dem Platz so. Wenn du in der Bundesliga spielst,
bist du mehr mit deiner Mannschaft zusammen, als mit deiner Familie. Wenn das
alles passt, hast du Spass – und so haben wir auch gespielt.
Hast du noch Kontakt
zu diesen Spielern, wo du früher um die Häuser gezogen bist?
Ja klar! Mit der Zeit wird es natürlich schon etwas weniger.
Aber der Kontakt wird nie abbrechen. Ich hatte aber auch viele
“Moment-Freunde“. Mit denen hatte ich es immer lustig, habe viel gelacht, aber wir
wussten: Wenn sich die Wege trennen, hören wir nichts mehr voneinander.
Ist das halt das
Geschäft, wo man alle paar Monate wieder den Verein wechseln kann?
Genau! Es gab aber schon fünf, sechs Spieler in meiner
Karriere, mit welchen ich den Kontakt halte.
Mit wem genau?
Mario Gomez, Sami Khedira oder auch Tim Borowski. Natürlich
auch in der Nationalmannschaft, wo man viel erlebt hat, das zusammenschweisst.
Zum Beispiel Raphael Wicky oder Patrick Müller. Das sind Leute, die ich schätze
– nicht nur als Spieler, sondern auch als Mensch. Auch mit Marco Streller ist
da einer.
Mit dem du auch in
Stuttgart zusammen gespielt hast…
Wir teilten dort jeweils das Zimmer. Aber eigentlich waren
immer zehn Spieler bei uns im Zimmer und hatten Spass (lacht). Allzu viel haben
wir aber nicht falsch gemacht, sonst wären wir nicht Meister geworden.
War das in Bremen
ähnlich?
Als wir Meister wurden, ja. Mit dem Erfolg ist natürlich eine
Kabinen-Dynamik dazu gekommen. Wir haben auch viele Spässe gemacht.
Mit Ailton im Team…
Ja natürlich (lacht!). Auch Micoud war immer bereit für ein
Scherz, was viele ihm nicht zutrauen. Ich glaube, das war auch das Geheimnis
meiner Titelgewinne. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, wo eine
Mannschaft war, die sich super verstanden hat.
Ihr habt immer
gewusst, wann es ein Spässchen leiden mag und wann man wieder seriös arbeiten
sollte?
Wenn man Erfolg hat, kann man sich ein Spass immer erlauben.
Der Trainer ist dann auch lockerer. Eine Stunde vor dem Spiel wusste man dann schon,
dass man sich nun konzentrieren sollte.
Du hast nach deinem
Karriereende gesagt: „Jetzt kommt Chantale dran!“ Jetzt stehst du aber trotzdem
wieder neun Mal pro Woche auf dem Fussballplatz.
Damals habe ich das so geplant (lacht). Aber im Endeffekt ist
das wieder anders. Ich bin einfach dankbar, dass ich jemand habe, der mich
unterstützt. Das war schon so gedacht, aber das funktionierte nicht lange. Es
ist nicht ganz einfach, wenn ein neues Leben anfängt. Es kommen viele
Umstellungen. Auf einmal bin ich zum Beispiel jeweils am Morgen zu Hause. Das
braucht alles eine gewisse Zeit. Das zu sagen, war eine naive Vorstellung von
mir gewesen(lacht). Denn so einfach ist das nicht und so klar auch nicht. Wenn
du Fussballer bist, aber auch Trainer, musst du eine selbständige Frau haben.
Sie muss dir den Rücken frei halten und sehr breite Schultern haben. Mit dieser
Aussage wollte ich auch sagen, dass jetzt mehr Zeit für sie kommt, aber
irgendwie kommt die noch nicht so ganz (lacht). Es ist nämlich wieder eher
meine Agenda, die den Wochenplan dirigiert.
Sagst du deshalb
aber auch, dass der Job der Spielerfrau allgemein etwas unterschätzt wird?
Ja! Das Problem sind die Spielerfrauen, die in der
Öffentlichkeit stehen. Das sind meistens Tussis, It-Girls. Es stehen aber nur vielleicht
zehn Frauen in der Öffentlichkeit. Und wie viele Fussballer sind wir? Viele
mehr! Es gibt viele Spielerfrauen, die zu Hause alles schmeissen. Als ich
Champions League und Meisterschaft gespielt habe, war ich vielleicht zwei
Nächte in der Woche daheim. Das ist schon schwierig für meine Frau. Alleine mit
zwei Kinder im Ausland. Ich war viel weg und wenn sie krank war, musste sie
trotzdem funktionieren. Sie wollte auch keine Nanny engagieren. Leider, für
viele Frauen, die sehr stark sind, sind die Frauen in der Öffentlichkeit nicht
unbedingt das Spiegelbild von den Spielerfrauen. Du hast zwei Spielerfrauen in
einer Mannschaft, die nur shoppen gehen und mit der Louis-Vuitton-Tasche
herumlaufen. In einem Kader hast du aber 26 Spieler. Davon sind vielleicht zehn
Single. Dann hast du aber immer noch 14 Spieler, die “normale“ Frauen daheim
haben. Es ist dann einfach schade, dass alle Spielerfrauen nur an diesen zwei “Louis-Vuitton-Frauen“
gemessen werden. Das können wir aber nicht ändern. Deswegen hat sich auch
Chantale damit abgefunden. Sie weiss, dass man sich gegen diese Presse-Maschine
nicht wehren kann. Da hast du keine Chance.
Ist das ein gewesen,
wo du Mühe gehabt hast? Mit diesen Zeitungen umgehen zu können. In der Schweiz
der Blick, in Deutschland ist es die Bild, die teils harte Schlagzeilen
gebracht haben. Hattest du Mühe damit?
Ich finde, die Leute, die schreiben, habe keine Ahnung.
Grundsätzlich haben sie keine Ahnung von Fussball. Wenn ich gut war, haben sie
geschrieben, ich war schlecht. Und wenn ich schlecht war, haben sie
geschrieben, ich war gut. Für mich sind diese Leute zu einem grossen Teil
Leute, die Fussball nicht verstehen. Viele schreiben lieber, wie die Wurst im
Stadion war, statt wie das Spiel war. Ab und öffne ich jetzt den Blick. Ich merke,
im Gegensatz zu anderen Ländern, wie zum Beispiel in Frankreich, wo es richtige
Fachliteratur gibt über zwei Trainer und dessen Systeme, schreibt der Blick
über das Stadion, wie das Feuerwerk war und wie die Wurst geschmeckt hat – und über
das Spiel keine Zeile. Die zeigen einfach ein paar Noten. Das sind einfach die
Interessen des Volkes. Das macht mich traurig. Es macht mich auch wütend, wenn
Journalisten irgendwelche Dinge schreiben und sich dann in ihrem grossen Haus
verstecken. Wenn du fragst: „Warum hast du das gschrieben?“ Dann schiebt man es
auf andere. Oder auch diese Umfragen. Über mich gab’s auch eine. Da hat der
Blick gefragt: „Hat es Magnin verdient an die WM zu gehen?“ Da sagen sowieso
95% Nein. Aber das ist der Metzger von Brüttisellen. Das sind einfach Leute,
die sich durch ihre Anonymität trauen Dinge zu sagen. Aber wenn du vor ihnen
stehst, traut sich keiner ein Wort zu sagen. Ich habe einfach mit solchen
Personen immer Mühe gehabt.
Ist das auch ein
Problem in den Fankurven? Wo ein paar Leute beginnen Dinge zu rufen und auf
einmal macht die ganze Kurve mit. Wenn man in der Menge untertaucht und auch anonym
ist.
Fankurven sind immer mühsam. Wie soll ich das sagen
(überlegt)? Heute kommst du einfach nicht mehr nüchtern zu spielen. Wir haben
viele Probleme in der Gesellschaft. Frust im Privatleben, Frust im Job.
Fussball also als
Ventil für diesen Frust?
Genau! Ein Ventil! Dann gehen sie ins Stadion, treffen sich
mit Kollegen. Im Stadion darfst du vieles machen, ohne dass du bestraft wirst.
Wenn sie diese Dinge auf der Strasse machen, würden sie sofort bestraft werden.
Deswegen sage ich: Die Polizei gehört ins Stadion!
Klare Ansage! Ich
habe keine Fragen mehr, willst du noch etwas loswerden?
Der Fussball soll einfach weiter Freude verbreiten. Das ist
das Wichtigste für mich. Als Trainer will ich auch versuchen mit meiner
Mannschaft attraktiven Fussball zu spielen. Ich denke, in Deutschland hat man
das schon verstanden. Da hast du Resultate wie ein 3:3, ein 5:4. Da gibt es
selten ein 0:0.
In dieser Saison
noch gar keines…
Eben! Aber als ich 2001 in die Bundesliga wechselte, hatten
die taktisch keine Ahnung. Der Ball ging hin und her. Für mich als Verteidiger
war es super. Ich hasste verteidigen und konnte so auch nach vorne gehen.
Mittlerweile, auch wegen einigen ausländischen Trainern, haben sie sich extrem
verbessert. Ich glaube aber, so weit wie Italien und Frankreich sind sie noch
nicht. Wenn du Stürmer fragst, die in verschiedenen Ländern gespielt haben,
sagen die alle, in Deutschland oder England sei es am Schönsten. Da schiesst du
Tore. Wenn du nach Italien oder Frankreich gehst, die machen kein Pressing. Da
ist es einfach zu, da kommst du nicht durch. Als Stürmer ist es dort sehr
schwierig Tore zu schiessen. Ich verstehe auch, dass in Italien die Stadien
leer sind. Du hast keine Unterhaltung mehr. In Deutschland und England hat man
das verstanden und deshalb schauen auch alle gerne die Bundesliga oder die
Premier League.
Apropros Taktik. Als
du früher noch gespielt hast, liefen die meisten Teams mit 4-4-2 auf.
Vielleicht gab es die noch mit Raute. Heute siehst du ein 4-2-3-1. Guardiola setzt
auf ein 4-1-4-1. Sind das grosse Unterschiede zu früher?
Ich glaube, das ist einfach gerade Mode. Der Fussball hat
sich einfach extrem entwickelt. Wenn du den Fussball von vor 20 Jahren
ansiehst, lachst du dich tot. Standfussball! Diese Leute trauen sich aber dann
in den Zeitungen Spieler von heute zu kritisieren. Wenn ich für das welsche
Fernsehen die Spiele kommentiere, dann will ich keine Spieler in die Pfanne
hauen, ich weiss selbst wie schwer das ist. Natürlich muss ich dann sagen, wenn
ein Spieler einen Fehler gemacht hat. Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist
den Leuten den Sport zu erklären. Aber die Entwicklung des Fussballs in den
letzten zehn Jahren ist schon gewaltig. So viele Trainings, so viele Tests. Ich
bin zwei Mal Meister geworden mit dem 4-4-2 mit Raute. Jetzt spielen sie alle
4-2-3-1, halt mit einem Stürmer. Ich als Trainer schaue darauf, was der Kader
hergibt.
Bestimmt also der
Kader das System?
Ich denke schon. Klar, auswärts bei den Profis würde ich nur
mit einem Stürmer spielen. Aber zu Hause würde ich mit zwei Stürmern probieren
zu spielen. Aber eben: Du musst schauen, wie dein Kader aufgestellt ist. Es
kommt auch auf die Ziele an. Wenn du gegen den Abstieg spielst und keinen
grossen Kader hast, ist es klar, dass du zuerst verteidigen willst. Im
Junioren-Bereich ist das nicht so. Da hast du andere Ziele, was erfrischend für
mich ist. Du machst dir keine Gedanken ob du auswärts spielen musst. Du hast
Spass und blickst noch nicht so auf die Tabelle. Das dürfen die Spieler aber
nicht spüren. Denn sie müssen immer gewinnen wollen. Das ist wichtig. Aber
unter uns Trainer ist das nicht von Priorität.
Ist das aber ein
Ziel von dir, wieder dahin zu kommen, wo nur Ergebnisse zählen? Das kommt ja
zwangsläufig, wenn du weiter oben arbeitest.
Sicher! Das fehlt mir auch, dieses Bauchkribbeln vor den
Spielen. Aber ich geniesse diese Rückkehr ins “Normale“. Keine Öffentlichkeit
und mehr Ruhe. Natürlich will aber auch einmal höher arbeiten. Aber alles “step-by-step“.
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