Die Nationalmannschaft Englands leidet seit Jahren an chronischer Erfolglosigkeit. Die Gründe dafür sind logisch, wenn auch schwierig zu beseitigen. Ein Erklärungsversuch.
England
als Mutterland des Fussballs
England ist das Mutterland des
Fussballs. Am 24. Oktober 1857 wurde mit dem FC Sheffield der erste
Fussballverein gegründet. Mit dem einher ging die erste Niederschrift eines
Regelwerks, das den heutigen Fussball charakterisiert. Foulspiel, Einwurf,
Freistoss – die Gründer des FC Sheffield, der heute in der achten englischen
Spielklasse vertreten ist, definierten die Rahmenbedingungen eines Sports,
welcher in den folgenden Jahren einen beispiellosen Siegeszug hinlegte. Es
überrascht daher nicht, dass in England auch der erste Fussballverband zustande
kam. Die Football Association wurde 1863 ins Leben gerufen und war Ursprung für
den in den USA verbreiteten Begriff Soccer. Ein britisches Wort also, das in
den Staaten die Sportart mit dem runden Leder beschrieb. Inmitten von American
Football, Basketball oder Baseball eine geschichtlich interessante Begebenheit,
schliesslich bekriegten sich die involvierten Länder unter anderem im Rahmen
der Boston Tea Party bereits. Der von der FA ausgetragene FA-Cup ist seit jeher
der älteste Fussballwettbewerb, den es gibt. Die Erstaustragung des auch heute
noch bestehenden Pokal-Wettbewerbs fand in der Spielzeit 1871/72 statt. Nicht
nur in organisatorischer Hinsicht betrieb man in England Pionierarbeit. Auch in
Sachen Fankultur präsentierte sich die Insel als Vorreiter für heute
selbstverständliche Bräuche in den jeweiligen Fankurven. Überlieferungen
zufolge soll im Jahre 1963 zum ersten Mal ein organisierter Fangesang in einem
Stadion ertönt sein. Glaubt man den Geschichten, soll Liverpool in einem
Heimspiel in Führung gegangen sein. Da man aber wegen des dichten Nebels das
gegenüberliegende Tor nicht erkannte, stimmte The Kop – die legendäre
Stehplatzkurve, dessen Namen von einer Schlacht in Südafrika stammt, wo mehrere
tausend Menschen ihr Leben verloren haben – „Who scored the goal?“ an. Die
gegenüberliegende Tribüne gab Antwort und der Fangesang war geboren. Es war
auch Anfield, das den wohl bekanntesten Fussballsong der Welt lieferte. „You’ll
never walk alone“ wird bis heute vor jedem Spiel der Reds inbrünstig von dessen
Anhänger gesungen. Auch ungewollt erlangte England Bedeutung im Fussball. Man
war Schauplatz in der Entstehung verschiedener Mythen, die noch heute wie ein
geheimnisvoller Schleier die Faszination dieses Sports ausmachen. Begriffe wie
Wembley-Tor, Barcelona 1999 oder die Busby Babes sind auch heute noch
allgegenwärtig tragen ihren geschichtlich imposanten Teil zum Fussball bei.
Geschichtlich imposant, ja. Aber sportlich?
Es gilt in einem ersten Schritt zu
differenzieren zwischen der englischen Premier League, welche Milliarden
einnimmt und massenhaft Stars beherbergt, und der englischen
Nationalmannschaft, die seit Jahrzehnten vergeblich versucht an frühere Erfolge
anzuknüpfen. Beginnen wir bei der Nationalauswahl. Sieht man von den Siegen
über die kleinen Länder in den Qualifikationen oder Freundschaftsspielen ab, so
stellt man bei den Three Lions eine beinahe chronische Erfolgslosigkeit fest.
Dem setzen wir natürlich das Selbstverständnis voraus, das die stolzen
Engländer als Mutterland des Fussballs mit sich bringen. Auf der Insel sehnt
man sich nach Titel. Und von diesen ist man derzeit meilenweit entfernt. Auch
die Tendenz birgt wenig Hoffnung auf Zuversicht. Wir ziehen den Vergleich bis
und mit der Europameisterschaft 2000 in Belgien und den Niederlanden. Die Jungs
von der Insel kamen kein einziges Mal weiter als das Viertelfinale. Rund
viermal musste man sich dort geschlagen geben, wovon zweimal die
Europameisterschaft Schauplatz war. Heisst: Dort kam (beim Turnier in
Frankreich 2016 wird erstmals ein Achtelfinal bei einer EM ausgespielt) nach
der Gruppenphase direkt das Viertelfinale. Es galt also keine Runde der besten
16 zu überstehen, wenn auch – so viel sei Fairnesshalber gesagt – die
Qualitätsdichte an einer EM anfangs für gewöhnlich höher ist als bei
Weltmeisterschaften. Bei den restlichen Turnieren scheiterte man einmal im
Achtelfinale und zweimal in der Gruppenphase. Die Endrunde 2008 in Österreich
und der Schweiz verpasste England gar ganz. Länder wie Spanien, Deutschland,
Italien Portugal oder Frankreich qualifizierten sich im gleichen Zeitraum
ausnahmslos für die Turniere. Mehr noch: die Spanier prägten vor dem peinlichen
Out in der Gruppenphase 2014 beinahe eine ganze Ära und siegten an den
Turnieren 2008, 2010 und 2012. Deutschland erntete im vergangenen Sommer
endlich die Früchte ihrer jahrelangen vorbildlichen Arbeit im Jugendbereich.
Nachdem man an der Europameisterschaft 2000 kläglich scheiterte, begann man den
Fussball neu zu strukturieren. Mit Erfolg. seit 2006 war man stets Stammgast in
den Halbfinals der grossen Endrunden. Auch Frankreich, Italien oder Portugal
schneiden im Vergleich bedeutend besser ab. Dies obwohl sich auch bei ihnen
erhebliche Misserfolge finden lassen. Man denke an den Spieler-Streit der
Equipe Triccolore in Südafrika 2010 oder das enttäuschende Turnier um Cristiano
Ronaldos Portugiesen in Brasilien. Sicherlich ist eine solche Gegenüberstellung
mit Vorsicht zu geniessen, denn bei einer Welt- oder Europameisterschaft ist
die Komponente Glück von noch wesentlicherer Natur, als dies in einem
Liga-Modus oder der Champions League, in welcher man den Sieger in den
K.O.-Spielen immerhin über zwei Spiele ermitteln kann, der Fall ist. Dennoch ist das Abschneiden
an Endrunden ein guter Indikator. Wir stellen fest, dass der Weltmeister von
1966 bestenfalls mittelmässige Resultate einfährt. Warum ist man sportlich nur
wenig imposant?
Einsicht der FA
Einsicht, so sagt man bekanntlich, sei der
erste Schritt zur Besserung. Diesen Schritt hat die FA im Mai des vergangenen
Jahres gemacht. Man veröffentlichte ein rund gut 80-seitiges Dossier, das sich
den Gründen und den entsprechenden Lösungsansätzen für die bescheidenen
Leistungen ihrer Auswahl widmet. Was die Arbeitsgruppe, welche bekannte Namen
wie Glenn Hoddle, Rio Ferdinand oder Roy Hodgson umfasst, erarbeitete, ist
keineswegs ein undurchsichtiges Konstrukt. Die Problematik ist glasklar. Sie
ist logisch.
Die
Premier League – Fluch und Segen zugleich
Das Fundament für spätere Fehler wurde
grundsätzlich schon im Jahre 1992 erbaut. Es war eine Zeit des Umbruchs auf der
Insel. Heysel und Hillsborough waren nach wie vor in den Köpfen der Menschen
präsent. Macht man es sich einfach, so konnte man dazumals von einer von
Hooligans und Tragödien verseuchten Sportart sprechen. Als die im Europapokal
gesperrten englischen Vereine wieder international antreten durften und das
Stehplatzverbot durchgesetzt wurde, ordneten die Verantwortlichen auch den
Ligabetrieb neu. Es war im Jahre 1992 als die einstige Eliteliga First Division
durch die heute bekannte Premier League ersetzt wurde. Parallel dazu wurden die
Fernsehrechte neu vergeben. Es flossen horrende Summen im Anbetracht der
damaligen Zeit und dessen üblichen Zahlungen. Auf einmal war sehr viel Geld
vorhanden, das natürlich nicht zuletzt
die Kassen der Premier-League-Vereine füllte. Es ist falsch von einem Fehler zu
sprechen – auch in der Nachbetrachtung. Nur wurde und wird das Geld vielerorts
nicht optimal eingesetzt, was über Umwege in der heutigen Situation gipfelt.
In der Folge wurden regelmässig neue
Fernsehverträge ausgehandelt. Hält man die Summen statistisch fest, so ergibt
sich eine Linie, die nur einen Weg kennt. Nach oben. Heute hat das
„geldspeiende Monster Premier League“, wie die Spielklasse einst vom Münchner
Merkur genannt wurde, mehrfach die Milliarden-Grenze geknackt. Zwischen 2013
und 2016 nimmt die Liga von den TV-Anstalten BT Sport und Sky unfassbare 3.7
Milliarden Euro ein. Komplettiert werden die Fernsehgelder vom aktuellen
Vertrag von ausländischen Anbietern, die 2.4 Milliarden Euro liefern und der
BBC, die für Match oft the Day, dem englischen Pendant zur Sportschau, 200
Millionen Euro investierten. Zugegeben: Das sind zwar durchaus hohe Beträge, dennoch
wird das Ausmass erst bei Vergleichen sichtbar. Ein Beispiel gefällig? Cardiff
City ist in der Saison 2013/14 als Letztplatzierter aus der Premier League
abgestiegen und hat 76 Millionen Euro an Fernsehgelder kassiert. Der FC Bayern
hat als Meister in derselben Spielzeit nur die Hälfte bekommen. Die Dimensionen
dieser Verträge gewinnt weiter an Gewicht, wenn man sich die Tatsache vor Augen
führt, dass die genannten TV-Sender nicht mal alle Spiele der Premier League
zeigen. Die Begegnungen, welche von der Liga auf Samstagnachmittag 15 Uhr
terminiert werden, bleiben von jeglicher Art der Live-Übertragung unberührt.
Man beachte, dass es sich bei den 15-Uhr-Partien keineswegs um ein, vielleicht
zwei Spiele handelt, nein. Mindestens fünf Duelle werden samstags um 15 Uhr
angepfiffen. Währenddessen zeigt Sky in Deutschland alle 306 Spiele in einer
Saison – und dennoch nimmt die Bundesliga bedeutend weniger ein. Grund für die
Live-TV-Abstinenz dieser Spiele ist die Angst davor, dass weniger Menschen die
Stadien aufsuchen, da sie sowieso von zu Hause zu begutachten wären.
Ein Beleg für diese unglaubliche
Finanzkraft sind die sogenannten Parachute Payments, was frei übersetzt soviel
bedeutet wie Hilfszahlungen. Heisst konkret: Vereine, die aus der Premier
League absteigen, erhalten etwa 60 Millionen Euro, welche sich über vier Jahre
verteilen. Grund dafür ist, dass die Vereine fast ausnahmslos einen
kostspieligen Kader unterhalten. Mit den Zahlungen soll dann verhindert werden,
dass dieser nicht völlig auseinanderfällt. Natürlich wird da – insbesondere bei
den Vereinen der Championship, Englands zweiter Spielklasse – Kritik laut.
Begriffe wie Wettbewerbsverzerrung sind nicht allzu weit hergeholt,
schliesslich liest sich diese Zahlung wie eine Art Belohnung für eine schwache
Saison, die im Abstieg mündete. Bitter ist dies für die zahlreichen
Traditionsvereine wie Derby County, Nottingham Forrest oder Brentford, die
guten Fussball spielen und über die entsprechende Fan-Basis verfügen, aber
nicht aufsteigen können, da es Mannschaften gibt, die finanziell besser
aufgestellt sind.
Aus dem reichlich gefüllten Tresor der
Premier League resultieren folglich auch volle Kassen bei den Vereinen. Um auch
weiterhin einen dieser begehrten 20 Startplätze inne zu haben, wird die Mannschaft
entsprechend aufgerüstet. Der vergangene Sommer bietet sich hierbei hevorragend
als Beispiel an. Erstmals knackte eine Liga die Millarden-Marke bei
Transferausgaben. Dabei wird meist knallhart nach Qualität eingekauft. Nicht,
dass man für diese Denkweise kein Verständnis aufbringen könnte, aber
Gesichtspunkte wie Langfristigkeit oder gesundes Wirtschaften sind derart
untergeordneter Natur, dass die Ausgaben für Spieler in einen inflationären
Bereich gerutscht sind. In viele Transfers mischen sich Zutaten wie Unvernunft,
eine Prise Grössenwahn und simple Hoffnung. Exemplarisch dafür stehen die
Wechsel zweier Spieler. Zum einen wäre da Andy Carroll, der mit dem
Leistungsnachweis von 17 Tore in der Championship für satte 41 Millionen Euro
von Newcastle an die Anfield Road zu Liverpool transferiert wurde. In 58
Spielen erzielte Englands einstige Sturmhoffnung magere elf Tore. Sein
Marktwert liegt heute bei zehn Millionen Euro. Zum anderen ist da Shane Long
zu nennen. Er wechselte von Hull City
nach Southampton. Kostenpunkt: 14.9 Millionen Euro. Nach 20 Spielen im Trikot
der Saints präsentiert sich seine Torausbeute ernüchternd. Dem Iren gelangen
lediglich zwei Tore, drei legte er auf. Im gleichen Zeitraum verpflichtete der
FC Bayern München Xabi Alonso von Real Madrid für acht Millionen Euro.
Sicherlich bietet sich dieser Vergleich nicht zwingend an, da ein Spieler
dieses Formats den deutschen Rekordmeister natürlich der Elf von Ronald Koeman
vorziehen würde und darüberhinaus auch älter ist, was den Marktwert senkt,
dennoch sind die Übertreibungen im Ausgabeverhalten gerade auf der Insel
signifikant.
In der Premier League resultiert aus
dieser starken Finanzkraft das teils übertriebene Agieren auf dem
Transfermarkt. Es werden viele Spieler verpflichtet. Das Problem dabei ist aber,
dass nur wenige Engländer unter Vertrag genommen werden. Weshalb? Weil es sie
schlichtweg nicht gibt. Um die gesamte Thematik in einem Satz zu umschreiben:
Es gibt zu wenig gute Fussballer, die aus England sind. Die Frage nach dem
Warum beschäftigt dabei.
Eine
Liga als Produkt
Längst ist die Premier League keine
einfache Fussballliga mehr. Vielmehr ist sie zu einem äusserst rentablen
Produkt mutiert, das nur noch geringfügig an den englischen Verband gekoppelt
ist. Zur Saison 2013/14 wurde die Torlinientechnik in Englands oberster
Spielklasse eingeführt. Zudem haben die Verantwortlichen auch den ominösen
Schiedsrichter-Spray installiert. Beides Vorgänge, welche die unteren Ligen
nicht betrafen. Die Premier League steht für sich alleine. Dass diese Liga aber durchaus über einen
gewissen Reiz verfügt, darf man nicht wegdiskutieren. Selbst nach der Übernahme
diverser Vereine durch finanzstarke Unternehmer, macht nicht zuletzt die
Tradition viel von der Attraktivität der Premier League aus. Spielstätten wie
Old Trafford, Anfield Road, aber auch die in London gelegene Loftus Road und
der Boleyn Ground (im Volksmund bekannt als Upton Park) sind regelrechte
Fussball-Mekkas und wunderbare Schauplätze für Fussballspiele. Die Intensität
der Begegungen ist ebenso in der Form einzigartig, wie das Tempo und die
teilweise nur wenig engen taktischen Fesseln.
Masseneinwanderung in der Premier
League
Stellen
wir den prozentualen Anteil an ausländischen Fussballern der Premier League den
in Europa führenden Ligen (Primera Division, Serie A, Bundesliga, Ligue 1)
sowie der Schweizer Super League gegenüber, stellt man markante Abweichungen
fest. Die Premier League kratzt hartnäckig an der 70-Prozent-Marke (alle Stand
August 2014), während von den restlichen Ligen einzig die Serie A die Hälfte
überschreitet. In Spanien, Deutschland, Frankreich und der Schweiz sind
bedeutend weniger ausländische Spieler angestellt. Heute sind es 32 Prozent der
Premier-League-Spieler, die für Englands Auswahl in Fragen kämen. Vor 20 Jahren
lag der Wert noch bei 69 Prozent. Ein weiterer Beweis dafür, dass die Menge an
englischen Fussballer überschaubar ist.
Es braucht Spieler von internationalem
Format
Die
Schwierigkeiten werden augenscheinlich, wenn man sich die Einsätze englischer
Spieler während der Champions-League-Spielzeit 2012/13 genau ansieht. Nur 22
damals eingesetzte Spieler waren aufgrund ihrer Nationalität für die
Nationalmannschaft Englands einsatzberechtigt. Dem gegenüber stehen 47
Brasilianer, 54 Deutsche und gar 75 Spanier. Mit 22 Akteuren könnte man noch
nicht mal einen WM-Kader nominieren, denn für diesen sind 23 Spieler von Nöten.
Eine weitere Statistik verhärtet den Verdacht, dass es in England an Spieler
von internationaler Klasse mangelt. Im Jahr 2013 erreichten sowohl 42 deutsche,
als auch 42 spanische Spieler 50 Prozent der Spielzeit bei einem Top-6-Verein
in den Top-5-Ligen (Premier League, Primera Division, Serie A, Bundesliga,
Ligue 1). Derweil erfüllen nur 18 Engländer diese Bedingung. Auch hier: Ein
WM-Kader lässt sich mit 18 Spieler nicht füllen. Studiert man die Marktwerte
(Quelle: transfermarkt.de) aller in der Champions League einsetzbaren Spieler,
sucht man lange nach einem Fussballer aus England. Erst auf Position 55 findet
sich mit Arsenals Jack Wilshere der erste Engländer. Spieler aus Belgien,
Polen, der Elfenbeinküste, Österreich oder auch Kroatien sind weiter vorne
geführt. Zwei Tatsachen schmälern diesen Eindruck natürlich. Erstens hat sich
Englands wertvollster Spieler Wayne Rooney (Marktwert 45 Millionen Euro) mit
Manchester United nicht für die Königsklasse qualifiziert, zweitens ist der
Marktwert nicht immer aussagekräftig. Gleichwohl ist er ein brauchbarer
Indikator. Nicht umsonst führen Cristiano Ronaldo und Lionel Messi die Liste an.
Weit weg davon sind zurzeit aber englische Fussballer.
The Black Hole
Beantworten
wir nun die Frage nach dem Warum. In Fachkreisen nennt man aber die Antwort The
Black Hole (engl. übersetzt: das schwarze Loch). Gemeint ist damit die
Zeitspanne, in welchem die Spieler zwischen dem Alter 18 und 21 sind. Dort wird
in den meisten Fällen der Schritt in eine erste Mannschaft vollzogen. In
Englands Premier League schaffen ausserordentlich wenig Spieler den Sprung vom
Jugendspieler zum gestandenen Premier-League-Spieler. Auch dieser Sachverhalt
lässt sich in verschiedenster Form statistisch belegen. In den Kader (Stand
August 2014) der Premier-League-Klubs stehen beinahe identisch so viele
Engländer im Alter zwischen 17 und 25, wie Schweizer bei den Super-League-Mannschaften.
Man muss dabei aber beachten, dass die Super League nur halb so viele Teams
hat. Wagen wir den Vergleich mit Weltmeister Deutschland. Im Endspiel der
U21-Europameisterschaft zwischen Deutschland und England 2009 standen mit
Neuer, Boateng, Hummels, Höwedes und Özil gleich fünf Spieler in der Startelf,
die am 13. Juli 2014 den vierten Stern für ihr gewannen. Hätte sich der
defensive Mittelfeldspieler Sami Khedira nicht noch kurz vor Anpfiff fürs Spiel
abgemeldet, wäre noch ein sechster Spieler dazugekommen. Dennoch ist es ein
klares Verdikt, wenn man die beiden Teams aus heutiger Sicht miteinander
vergleicht. Alle in diesem Finale eingesetzten englischen Spieler erreichten
bis zum August 2014 79 Länderspiele für ihr Land, während die deutsche Mannschaft
deren 344 spielte. Geht man ebenfalls vom August 2014 aus, so standen die
deutschen Spieler in 295 Champions-League-Partien auf dem Platz. Englands damaliges
U21-Team weist in dieser Hinsicht nur 128 Begegnungen auf.
Bei
allen Zahlenspielen fällt auf, dass die Champions League als gewichtiger
Gradmesser dient. Zu Recht. Otmar Keller, ehemaliger Physiotherapeut und
Konditionstrainer der Schweizer Nationalmannschaft antwortet auf die Frage, wie
man einen Spieler auf einen gewissen Punkt zu Leistung drillen kann so: „Man
muss die Drucksituation simulieren. Immer wieder diese Momente nachspielen.“
Auf dem Fussballplatz heisst das zusammengefasst: Spielpraxis. Nur durch
Erfahrungen auf allerhöchstem Niveau entwickelt sich ein Spieler.
Eine
letzte Verdeutlichung mit Hilfe von Zahlen: die FA hat alle Engländer, Spanier
und Deutschen gesammelt, die zwischen 2006 und 2008 für die U19 ihrer Landes
aufgelaufen sind. Dann haben sie ihre Spielminuten in Europa (früher auch
UEFA-Cup) und Champions League (Stand Mai 2014) gesammelt und den jeweiligen
Durchschnitt errechnet. Die Ergebnisse davon zeigen die Defizite Englands
unmissverständlich auf. Im Alter von 19 Jahren sind zwar sowohl die englischen,
als auch die spanischen und deutschen Fussballer praktisch ohne Einsätze,
jedoch beginnen sich dann klare Tendenzen abzuzeichnen. Spanische Spieler
erhalten mehr und mehr Einsatzzeiten. Im Alter von 21 sind es dann schon klare
Verhältnisse. Der durchschnittliche Engländer ist weit weg von der
200-Minuten-Grenze. Unterdessen ist der deutsche Spieler bei durchschnittlich
über 300 Minuten. Der Spanier befindet sich schon um die 400 Minuten. Im 25.
Lebensjahr hat der Engländer immerhin über 200 Minuten durchschnittlich
gespielt. Deutschland (über 600) und Spanien (fast 1200) sind aber
meilenweit enteilt. Ausser Acht lassen darf man überdies nicht, wie diese
Statistik zustande kommt. Kieran Gibbs hatte Stand Mai 2014 bereits 16
Champions-League-Partien über die volle Distanz bestritten, was 1440 Minuten
entspricht. Demnach sind es viele Spieler, die gar keine Partie auf
europäischer Ebene bestritten haben, da der englische Schnitt bei noch nicht
einmal 300 Minuten liegt.
Der
Punkt ist also, dass die jungen englischen Spieler keine Einsatzminuten
kriegen. Grundsätzlich wäre es falsch die Problemquelle bei fehlenden
Talentschmieden auszumachen. Zum einen schneiden die englischen
U-Nationalmannschaft nicht schlecht ab bei den Endrunden, zum anderen gibt es
beispielsweise mit Southampton, das Spieler wie Bale, Walcott, Oxlade-Chamberlain,
Lallana, Chambers oder Shaw förderte, den Nachweis von gelungener Jugendarbeit.
Nur gibt es wenige Vereine, welche diese Idee derart strikt verfolgen. Mit dem
zentralen Mittelfeldspieler James Ward-Prowse steht bereits ein nächstes Juwel
bei den Saints in der Pipeline. Klar ist aber auch, dass sich Fussball-England
um die einheimischen Talente reissen. Es kommt nicht von ungefähr, dass ein
Luke Shaw und ein Callum Chambers mit noch nicht einmal 30
Premier-League-Spielen für 30, beziehungsweise 20 Millionen Euro den Verein
wechselten. Zudem neigt die stürmische
englische Presse zu Heldentum und sucht sich regelmässig neue vermeintliche Heilsbringer
für den so langersehnten Titel.
Der
Fehler liegt vielmehr darin, dass man den Talenten keine Chance gibt.
Stattdessen werden sie in die unteren Ligen verliehen, um Spielpraxis zu
sammeln. Bezeichnend dafür steht der Fall Andros Townsend, der in seiner
Karriere bereits unfassbare neunmal verliehen wurde. Dabei lief aber stets sein
Vertrag bei den Tottenham Hotspurs. Viele dieser Leihgeschäfte dauerten
lediglich ein paar Monate. Zur Erklärung: in England ist es möglich über nur
einen Monat einem Verein „geborgen“ zu werden. Leider kommt der Spieler dann
meist in die unteren Ligen. Und die Championship ist nun mal halt keine
Champions League. Die nötige Geduld, hungrige Spieler in der ersten Mannschaft
Spielpraxis zu gewähren, fehlt. Mitunter deshalb, weil viele Teams über –
zumindest zum entsprechenden Zeitpunkt – scheinbar bessere Spieler in ihren Mannschaften
wissen. Nur wenige gehen das Risiko ein und setzen auf junge, unerfahrene
Spieler aus dem eigenen Nachwuchs. Zu schnelllebig ist dieses Geschäft. Es
überrascht daher nicht, dass es Arsene Wenger, der mit Abstand Dienst älteste
Manager der Premier League, ist, der sich nicht scheut Talente einzubauen.
Wilshere, Ramsey, Oxlade-Chamberlain, früher auch Senderos oder Djourou, um nur
einige Beispiele zu nennen. Wo aber viel Geld vorhanden ist, wird viel
ausgegeben. Vor allem für Spieler. Man kauft sich oft ausländische, „fertige“
Fussballer, die der Mannschaft sofort weiterhelfen können. Dem Produkt Premier
League ist es schlussendlich gleichgültig, ob der Torschütze Carroll oder Dzeko
heisst. Der Erfolg steht über allem. Mit ihm die Aussicht auf eine weitere
Saison Premier League. Auf eine weitere Saison Geldregen.
Infolge
dessen werden die jungen englischen Spieler zwar mit dem Ziel Spielpraxis zu
sammeln abgegeben, allerdings erhalten sie diese dann fast ausschliesslich in
den unteren Ligen Englands. Dieser Sachverhalt unterstreicht ein Blick auf alle
englischen Spieler zwischen 18 und 21 Jahren, die im Laufe der vergangenen
Saison von einem Premier-League-Verein verliehen wurden. 49 von ihnen gingen in
die Championship, 40 in die League 1 (Englands dritthöchster Spielklasse) und
27 in die League 2 (Englands vierthöchster Spielklasse). Fünf wechselten nach
Schottland und einer blieb in der Premier League. Man kann also davon ausgehen,
dass nur ein einziger Spieler, nämlich der, welcher in der Premier League
blieb, keinen drastischen Niveauabfall hinnehmen musste. Also auch hier: die
Championship ist nun mal keine Champions League. Es überrascht zudem, dass kein
einziger Spieler ins Ausland wechselt. Mit Micah Richard (Fiorentina) und
Ashley Cole (AS Rom) sind derzeit nur zwei englische Spieler im Ausland tätig.
Gründe dafür finden sich genug.
Lösungsansätze
Dass
englische Spieler die Insel nicht verlassen, liegt ebenfalls am meist zu
grossen Schritt zwischen Jugendauswahl und erster Mannschaft. Die Zwischenstation
fehlt. Diese bildet in Spanien oder Deutschland beispielsweise die zweiten
Mannschaften. Bei den Iberern ist es gar erlaubt, dass die zweiten Teams bis in
die Segunda Division – also der zweithöchsten Spielklasse – antreten dürfen.
Daniel Carvajal dient hierbei als gutes Beispiel. Der Rechtsverteidiger war
zuerst Stammkraft und teilweise Kapitän bei Real Madrid Castilla, wie die
Zweite von Real heisst, die damals in der Segunda Division spielte, bevor er über
Leverkusen in die erste Mannschaft Reals kam. In der Bundesliga ist dieser
Vorgang bis in die 3. Liga möglich. Selbst Weltmeister Deutschland hat von
diesem System profitiert. So war Thomas Müller Stammkraft unter Herrmann
Gerlands zweiter Mannschaft, bevor er den Sprung zu den Profis geschafft hat.
Im FA-Bericht wird die Integration der zweiten Mannschaften in den normalen
Ligabetrieb als möglicher Lösungsansatz aufgeführt. Eine Idee, die kontrovers
diskutiert wurde.
Kritiker
monieren, dass es sich hierbei um Wettbewerbsverzerrung handle. Tatsächlich
sind es Argumentationen, die nur allzu legitim sind. Man stelle sich vor, dass
auf einmal 20 Premier-League-Vereine ihre B- Teams in den Ligen integrieren
müssten. Zweifelsohne würden daraufhin früher oder später Vereine von der
Bildfläche verschwinden, weil schlicht kein Platz mehr wäre. Man kann den
Gedanken auch weiterführen. Luton, das – trotz eher aussichtslosem Rümdümpeln
in den Niederrungen der unteren Ligen – einen Zuschauerschnitt von über 10'000
Zuschauer mit sich bringt, müsste sicherlich an Zuschauer und somit auch an
Einnahmen einbüssen, weil man Spiele gegen die Zweite von Leceister City
einfach weniger Zuschauerandrang generieren. Kritiker der ganzen These, also
des Vorschlags, zweite Mannschaften im Ligabetrieb zu integrieren, sehen keinen
sportlichen Gewinn in dieser Massnahme. Allerdings kommt hier wieder der Faktor
Spielpraxis zum Tragen. Das Simulieren der Drucksituation also. Sprich: mit
Auf- und Abstieg über eine gesamte Saison zu spielen. Eine Möglichkeit, die in
der U21-Premier-League nicht besteht.
Derzeitige Erwartungshaltung
Die
derzeitige Erwartungshaltung auf der Insel ist wohl so tief wie selten zuvor.
Die hoffnungsvolle Generation ist mit dem Rücktritt von Gerrard und Lampard im
vergangenen Sommer endgültig vorbei und an Nachschub mangelt es. Dass man an
der WM in der Gruppenphase scheiterte, komplettiert die schwierige Situation und
nimmt den Anhängern der Three Lions die Hoffnung auf Enthusiasmus im Bezug auf
die Elf von Roy Hodgson. Eine Begebenheit, die sich auch in den Zuschauerzahlen
äussert. Im letzten Herbst besuchten nur gut 40'000 Zuschauer den Testkick gegen Norwegen, womit man den
Negativrekord im neuen Wembley (seit 2007) vom Spiel gegen Schweden von 2011
unterbot. Damals fanden sich 48'000 Menschen in der Heimspielstätte der
englischen Nationalmannschaft ein.
Sofern
im Mutterland des Fussballs kein Umdenken stattfindet, wird die englische
Nationalmannschaft weiterhin nur wenig imposant sein. Sowohl in der Bundesliga, als auch in der Premier League trafen im vergangenen Wochenende der Erstplatzierte auf den Zweitplatzierten. Bei Citys 1:1 an der Stamford Bridge standen mit Terry, Milner und Hart insgesamt drei Engländer in den Startaufstellungen. Bei Wolfsburg gegen Bayern waren es deren sieben.
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