Donnerstag, 9. April 2015

Kommentar zur St. Galler Niederlage - von fehlendem Kribbeln

Schreiben als Therapie. Auf der Suche nach dem verlorenen Kribbeln und Gründen zur Niederlage gegen den FCB. 


Viele dieser ganz besonderen Spiele gibt es ja nicht mehr. Nur noch selten kribbelt es vor dem Anpfiff. Auch vor mir hat das Erwachsenwerden nicht Halt gemacht. Die Tage fliegen zwar vorbei, nur kürzer werden sie nicht. Die Zeiten, wo ich nach einer Champions-League-Woche die Tage zählte, bis wieder diese wunderbar heroisch anmutende Hymne ertönen würde, sie sind nicht mehr vorhanden. Etwa zehn Jahre ist es jetzt her. Chelsea gegen Barcelona war damals so ein Spiel. Mit einem kleinen aufmüpfigen Spieler, der den Ball von der Strafraumgrenze unnachahmlich an die Latte setzte. Heute kennt man ihn als Messi. An der Seitenlinie stand Jose Mourinho, allerdings noch ohne grauen Haare. Das Älterwerden macht auch vor ihm nicht Halt. Nicht, dass ich Anhänger von Chelsea oder Barcelona gewesen wäre, nein. Aber es war damals so ein Spiel, das sich einbrannte. Ein Spiel, bei dem es kribbelte, bei dem man alles aufsagt. Ein Spiel, das im Vorfeld für herrlich hitzige Diskussionen sorgte.

Später ging ich dann ins Espenmoos, was durchaus eindrücklich ist für einen Jungen, der so langsam beginnt am Teenageralter zu kratzen. Profi-Fussball aus nächster Nähe, zusammengepfercht in einer Holztribüne, die 90 Minuten ohrenbetäubender Lärm machte. Womöglich schlummerte damals schon der hoffnungslose Fussball-Romantiker in mir, weshalb mir dieses sich alle zwei Wochen wiederholende Erlebnis immer wieder sympathisch war. Bratwurstgeruch, biergetränkte Holzdielen und Fussball empfand ich damals schon als äusserst angenehm. Hinzu kam der jeweils beachtliche Menschenauflauf im Heiligkreuz. Ich hatte das Gefühl, die ganze Stadt sei auf den Beinen. Ja, es kribbelte jeweils.

Beim Wechsel in die AFG Arena veränderte sich vieles. Nicht einmal zwingend deshalb, weil eine Multifunktionsarena nur bedingt mit einer legendären Bogen-Tribüne mithalten kann. Ich war es, der sich veränderte. Der Fussball verkam zum Tagesgeschäft – auch für mich. Ekszessiver Fussball-Konsum und die steigenden Anforderungen des Lebens verhinderten die vorfreudige Fokussierung auf einzelne Spiele. Zumal der FC St. Gallen nur wenig Plattform für kribbelnde Fussballabende bot. Zwar gab es zwei Aufstiege zu feiern, dennoch waren diese frei von jeglicher Dramatik. Man geht halt trotzdem hin, tut sich Nyon oder Concordia an. Aus Liebe, vielleicht auch als kleiner Appell ans Karma. Irgendwann soll sich diese Mühe lohnen.

Irgendwann war gestern. Wenn der Champions-League-Teilnehmer und Serien-Meister FC Basel zum Cup-Halbfinal in der prallgefüllten Heimspielstätte des FC St. Gallen antritt, dann ist etwas in der Luft. Dann kribbelt es, dann saugt man auf. Auch das Erwachsenwerden- oder sein hält sich für ein paar Stunden zurück. Die Stunden vor dem Spiel gestalten sich als Weihnachtstag 2.0. Man kann nicht mehr warten, will Geschenke, will Bier, will das Spiel, dieses verdammte Kribbeln. Es siegt diese kindliche Naivität auch noch Hoffnungen in die Espen zu setzen. Und wo Hoffnungen sind, da sind zwangsläufig auch Erwartungshaltungen. Wenn es zudem noch darum geht, eine Saison in die richtigen Bahnen zu lenken, die man zu verspielen droht, dann ist die Fallhöhe beträchtlich.

Um 23.12 Uhr hatte mich dieser Fussballabend endgültig zermürbt. „Ich hasse Fussball!“, schreibe ich einem Freund. Ich bin aber noch bei mir und prognostiziere für den morgigen Tag wiedererlangte Begeisterung für die schönste Nebensache der Welt. Dennoch bin ich enttäuscht. Enttäuscht darüber, wie man dieses seltene Kribbeln einfach so wegwerfen kann. Vor allem weil es scheint, dass nur wenige der St. Galler Mannschaft ebenfalls über dieses Kribbeln verfügten. Die Aussicht auf den Cup-Final, auf die Europa-League-Gruppenphase und zudem ein beispielloser Hexenkessel schien in den knapp 17'000 Zuschauern mehr auszulösen, als bei den Grün-Weissen auf dem Feld.

Bei genauerer Betrachtung erweist sich aber nicht das Spiel gestern als die grosse Ernüchterung. Die Niederlage gegen Basel ist die Bestätigung einer Tendenz, die bedenklich ist. Der FCB ist mitnichten der Gradmesser, an dem sich der FCSG orientieren sollte. Es zählt auch nicht zu sagen, dass man gegen die Basler im bisherigen Saisonverlauf gut ausgesehen hätte. Dafür ist der 17-malige Schweizer Meister zu clever. Denn schlussendlich reckt man nach 36 Ligaspielen den Pokal in die Höhe, da kann man auch noch ein drittes Mal gegen den FC St. Gallen verlieren. Basels Kunst ist die Fähigkeit auf den Punkt bereit zu sein. In einem Cup-Halbfinal liegt diese Niederlage nicht drin – und darum gibt es sie nicht. Darum ruft man ab, was man zu leisten imstande ist und siegt problemlos.

Der FC St. Gallen macht derweil aus nun fast chronischen Startschwierigkeiten in der Rückrunde eine Krise. Dafür ist nicht die gestrige Niederlage verantwortlich, wenn auch die Art und Weise sein Übriges tat. Niederlagen in Thun, Vaduz und Sion zeichnen sich da schon eher verantwortlich. Insgesamt setzte es in diesen drei Auswärtsspielen zehn Gegentore ab. Alle drei Gegner sind in Sachen Toren in der unteren Tabellenhälfte anzutreffen und sind nicht für ausschweifende Torspektakel bekannt. Vaduz stellt sogar den zweitschlechtesten Angriff der Liga und wird nur vom FC Aarau unterboten, der eine fast schon beängstigend schwache Torausbeute aufweist.

Ich wünschte mir, der Ausgleich gegen den GC wäre Anfang März nicht gefallen. Rodriguez’ Elfmeter in der Nachspielzeit war trügerisch, gaukelte dem Publikum vor, dass sich die Mannschaft wehrt. Ein Ausgleichstreffer zum Schluss wird in Krisen gerne als Indikator dafür verwendet, dass die Mannschaft noch lebt. Hier fälschlicherweise.

Das gestrige Spiel unterstützt die These, dass Jeff Saibene die Mannschaft nur noch bedingt erreicht. Planlosigkeit zog sich durch die gesamte Partie. Mario Mutsch stach zweifelhaft heraus, in dem er den Ball mehrfach nach vorne schlug. Nicht aber als gezielter Pass hinter die Basler Abwehr, sondern halbhoch auf die Brust eines Mitspielers. Selbst Messi hätte hierbei Probleme gehabt, das Spielgerät unter Kontrolle zu bringen. Und weg war der Ball. Wie Mario Mutsch ein halbes Jahr lang die Position auf der Sechs bekleidete, bleibt dem gestrigen Zuschauer ein Rätsel. Einleuchtend ist die Erklärung, dass er über seinem eigentlichen Niveau spielte. Das geht dann, wenn dich eine Mannschaft trägt. Eine Mannschaft mit einem Nater, Montandon. Oder Besle, der Opfer seiner schwachen Kollegen auf der Innenverteidigerposition ist. Denn Mario Mutschs Urteil trifft auch auf den steifen Daniele Russo zu. Von Besle geführt und an einem guten Tag, von denen er im letzten Herbst einige hatte, spielt er solid auf. Aber ruft er sein normales Leistungsvermögen ab, besteht er nicht gegen einen FC Basel.

Man stellt sich die Frage, wie stark die St. Galler wirklich sind. Soll man dem Gesicht trauen, das den FCB auswärts und zu Hause mit einer geschlossenen Mannschaftsleistung schlug? Oder soll man dem Gesicht trauen, das in der Rückrunde nur einen einzigen Sieg einfahren konnte?


Dann bin ich genervt von mir selbst. Scheiss Kribbeln. Ich habe danach gelechzt, habe gehofft, obwohl ich es eigentlich besser gewusst hätte. Die von mir prophezeite Freude am Fussball finde ich am Morgen danach schon wieder. Ich lächle, als ich merke, dass nächste Woche wieder Champions League ist. Und irgendwo, tief drin, schlummert es, dieses Kribbeln. Ich hoffe, dass es sich bald wieder zeigt. Auch wenn es kein grün-weisses Kribbeln ist. Fürs Erste. Denn sie werden wieder kommen, die Enttäuschungen.

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