Montag, 28. April 2014

Sascha Ruefer - The Voice of Switzerland

Noch bevor der Hardcore-Stammtisch bei der ortsansässigen Beiz über die Personal-Rochaden beim SRF heissblütig diskutierte, trafen wir die wahre "Voice of Switzerland": Sascha Ruefer. Morgen kommentiert er den Leckerbissen Bayern-Real, um eineinhalb Monate später hoffentlich zur Assoziation für siegestrunkenen Schweizer Torjubel zu avancieren. Aber der Reihe nach. Zuerst das Gespräch mit Fussball,Schatz. Über das Maracanã, die Macht des Internets und die potenziellen Ziele der Nati am Zuckerhut.

„Toooooooooooor für die Schweiz!“, schreit Ruefer ins Mikrofon. Er tut dies gleich 17 Mal. Manchmal etwas dezenter, ein anderes Mal dafür umso euphorischer. Je nach dem.

Dann ist das Video, das alle Tore der Schweizer Nationalmannschaft in der Qualifikation zur Weltmeisterschaft in Brasilien zeigt, vorbei. Es ist die Vorbereitung auf ein Interview mit Sascha Ruefer. Zugegeben: Es ist eine Vorbereitung, die Spass macht. Eine Vorbereitung, die Emotionen weckt. Es mag kitschig klingen, dennoch löst diese Stimme, dieser Torschrei, etwas in mir aus. Dieser romantisch angehauchte Gefühlszustand mag dem Fan der “Nati“ nur allzu vertraut vorkommen. Wer die Elf um Ottmar Hitzfeld verfolgt, wird zweifelsohne mit Ruefer konfrontiert werden. Dieser kommentiert die Spiele nämlich seit Sommer 2008.

Ich notiere auf meinem vor Interviews obligaten Brain Storming: Tolle Emotionen bei Toren. Gefällt mir.

Ich warte im Starbucks am Check-In 2. Der Flughafen Zürich passt ja ganz gut als Austragungsort dieses Interviews. Ein Flughafen ist schliesslich das Tor zur Welt. Das ist Sascha Ruefer auch. Zumindest, wenn man das Wort “Welt“ mit der Sportart “Fussball“ ergänzt. Sascha Ruefer – das Tor zur Fussballwelt. Spätestens, als ich den Grenchner nach dessen favorisierten Stadien frage, läuft es mir kalt den Rücken runter. Die neue Arena von Juve sei toll, erzählt Ruefer, um danach beinahe nüchtern anzufügen: „Vom Maracanã war ich enttäuscht.“ Der 43-jährige tut zwar das Jonglieren mit derart ehrwürdigen Namen als “Daily Business“ ab, wirkt aber im selben Atemzug keineswegs abgehoben. Angesprochen auf die Affiche zwischen den beiden Rekordmeistern aus England (Manchester United) und Deutschland (Bayern München), erstarrt auch Ruefer in Ehrfurcht. „Wenn man sich dann auf die Partie vorbereitet und solche Namen liest, merkt man schon, wie privilegiert man ist.“

Philosophischer Natur ist dann die Antwort auf die Frage, ob man denn bei solchen Begegnungen und der Aussicht auf die kommende WM am Zuckerhut noch Ziele habe. Ruefer: „Ich frage mich einfach, wieso man immer nach mehr streben muss.“ Er lässt dies kurz wirken, um dann nachzuschieben: „Es ist ja gerade der schöne Aspekt bei unserem Beruf, dass sich jedes Spiel anders präsentiert.“ Er habe diese Paarung bereits 1999 kommentiert. Seither sei eigentlich nur eines gleich geblieben: Die Namen der Mannschaften. „Die Protagonisten, ja sogar der Fussball selbst haben sich verändert. Das macht es immer wieder auf’s Neue unglaublich spannend.“, erklärt Sascha Ruefer. Man nimmt es ihm ab, wenn er danach – wie selbstverständlich – anfügt, dass ein Aufeinandertreffen zwischen Aarau und Lausanne genauso über seinen Reiz verfüge. „Die Ausgangslagen, die Spieler“, so Ruefer, „sind immer wieder anders.“

Diese Unberechenbarkeit verunmöglicht bis zu einem gewissen Grad die minutiöse Planung einer Partie. Dennoch ist die Vorbereitung darauf unabdingbar. „Ein Wanderer kann abstürzen, wenn er sich nicht über die aktuelle Lage des Wetters informiert. So auch bei uns.“, vergleicht der SRF-Kommentator eine Wanderung mit den 90 Minuten auf der Pressetribüne. Er führt aus: „Jeder Kommentator hat sein “Rucksäckli“, welches er vor einem Match packt. Dieser ist möglichst prall gefüllt mit Informationen. Wie soll man sich denn das vorstellen? Sascha Ruefer sitzt am Sonntagabend am Computer und zieht sich die letzten zehn Partien der Red Devils rein? „Niemand erwartet, dass ich die letzten zehn Spiele der jeweiligen Teams gesehen habe.“, gibt Ruefer zu verstehen. Es gebe aber Programme, auf welchen man sich verschiedenste Zusammenfassungen zu Gemüte führen kann. Nichtsdestotrotz bringt die Thematik “Erwartungshaltung“ gewissen Zündstoff mit sich. Als ich nach der Entwicklung in Sachen Berichterstattung frage, wird Ruefer konkret: „Es hat sich Grundlegendes getan.“ Stichwort Internet. Der Vater eines nicht einmal einjährigen Junges versteht es folglich zu argumentieren. „Noch vor 15 Jahren war die aktuellste Informationsquelle die Zeitung. Diese wurde um 22 Uhr des vorherigen Tages in den Druck gegeben.“ Dann die Gegenüberstellung mit der heutigen Zeit. „Heute herrscht in den sozialen Medien ein reger Austausch und über die verschiedensten Websites lassen sich problemlos die neusten Meldungen vernehmen.“ Ruefer weiter: „Man weiss sogar, was Ronaldo vor zehn Minuten gemacht hat.“ Das Ganze gipfelt in einer merklich erhöhten Erwartungshaltung dem Kommentator gegenüber. „Man muss heute nicht mehr erklären, wo Zidane überall gespielt hat oder dass Ashley Cole vor vier Wochen krank war. Die wissen das.“ Daraus resultiert eine neue Form des Kommentierens. „Heute will der Zuschauer mehr Antworten auf die Frage “Warum“, als das ledigliche Beschreiben, was denn überhaupt geschehen ist.“ Grundsätzlich müsse er den Leuten vor dem Bildschirm eine Hilfestellung bieten, sich eine Meinung zu bilden. Es versteht sich dabei aber von selbst, dass dadurch auch der Schwierigkeitsgrad bei Ruefers Arbeit nach oben korrigiert worden ist.

Dieser schleichende Prozess der erhöhten Leistungserwartung bringt den Kommentatoren-Beruf unter Zugzwang. Zum Einen gestaltet sich das durch das Publikum neu definierte Anforderungsprofil als Hürde, zum anderen durchläuft auch der Fussball immer wieder einen Wandel. Während vor zehn Jahren Begriffe wie die “falsche Neun“ noch in den Kinderschuhen steckte und Hollands altehrwürdiges 4-3-3 noch als hochmodern durchging, basteln heute Fussball-Hipster wie Guardiola an Formationen mit einer doppelten Acht, welche von einer beinahe als Libero zu interpretierenden Sechs unterstützt wird. Es dürfe durchaus kritisch hinterfragt werden, merkt Ruefer an, dass grundsätzlich kein Diplom von Nöten ist, um fussballerische Fachkompetenz auszuweisen. Es verfügt über eine sympathische Färbung, wenn Ruefer erzählt, dass er sich aus freien Stücken weiterbildet. Wie das konkret aussähe, wollen wir wissen. „Ich habe Trainerkurse besucht oder auch schon bei Super-League-Trainer gefragt, was es mit dem Gegenpressing auf sich hat oder wie sich ein 3-5-2 äussert.“ Nicht, dass ich die Arbeit eines Kommentators grundsätzlich in Frage gestellt hätte, aber es überraschte mich, wie professionell Sascha Ruefer seinen Beruf interpretiert. Ich lausche interessiert, als er beginnt seinen Aufwand mit Beispielen zu belegen. „Heute Morgen habe ich mir zuallererst um acht Uhr das Aufeinandertreffen zwischen dem FC Luzern und dem FC Basel noch einmal in voller Länge angesehen. Man muss sich dabei vor Augen führen, dass diese Partie von Sascha Ruefer kommentiert wurde. Daraus zu schliessen ist, dass er gewissenhafte Selbstkritik übt – und dabei seinen gewichtigsten Kritiker, den Fan, nicht ausser Acht lässt. So stöbert er sich in einem ersten Schritt durch Facebook, um sich ein Bild über die Meinung der Fans betreffend seiner Kommentator-Performance zu machen. Der Tenor der Zuschauer kristallisierte sich derweil schnell heraus: „Ich sei zu negativ hinsichtlich der Luzerner Mannschaft gewesen.“ Unter diesem Gesichtspunkt verfolgt Ruefer die Partie und stellt fest: „Nach 77 Spielminuten begann ich den FCL vehement zu kritisieren. Ich prangerte etwa an, dass es an Typen fehle, die vorangehen.“ Er schiebt nach: „Ganze vier Mal wiederholte ich meine Aussage, wenn auch in anderer Wortwahl. Dennoch haben repetitive Anmerkungen – vor allem gegen Ende einer Partie – einen stärkeren Einfluss auf die Meinung des Zuschauers.“ Er notiere fleissig mit, um danach “für die nächste Begegnung etwas mitzunehmen“.  Es ist die unmissverständliche Antwort auf die Frage, ob man das Kommentieren denn auch trainieren könne. Ruefer hält viel von Feedback. Vielleicht gerade deshalb, weil es ihm fehlt. „Aufgrund der Schnelllebigkeit des Fussballs, des Drückens immer wieder neuer Meldungen, neuer Spiele, kommt die “Feedbackkultur“ zu kurz.“ Ruefer ermuntert mich dann, ihm eine Kritik zu verfassen, wie er denn in Manchester kommentiert habe. Natürlich nicke ich, halte es aber für eine Alibi-Forderung.

Als spannend erweisen sich Ruefers Aussagen, was Vorschriften seitens des SRF betreffen. Diese sind relativ locker und beinhalten einen grösseren Spielraum an Interpretation. „Was schön ist.“, meint Ruefer dazu. Dann wirft er mit Wörtern wie “angemessen“ oder “passend“ um sich, die aber keineswegs als Floskeln zu werten sind. Es geht dabei einzig um einen vernünftigen Umgang mit gewissen Situationen. „Wenn die Schweiz in der ersten Hälfte im ersten Quali-Spiel gegen Estland die Führung erzielt, sollte man anders jubeln, als wenn man Spanien an der WM schlägt.“ Was einleuchtet, unterstreicht Ruefer Sekunden später: „Als 43-jähriger Mann kann ich nicht herumtoben und übertrieben jubeln.“ Ruefer bedient sich aber weiter der Fragestellung, ob es denn nun Weisungen vom SRF gebe. Die Frage sei spannend, so Ruefer. Klar, schliesslich argumentiere ich hier mit dem Beispiel des Brennpunkts “Pyro“. Ich horche in der dezenten Hoffnung, dass Ruefer hier keine passende Antwort in petto hat, auf. Naja, der Mann ist beruflich verpflichtet zum Reden. Und dies kann kann er – inhaltlich einwandfrei. „Ich habe mich nie zur Pyro-Debatte geäussert, weil ich mich noch nicht in die Materie eingearbeitet habe.“, erklärt Ruefer. Mittlerweile sei er aber in Kurven gestanden, habe mit Hooligans gequatscht und sich so eine Meinung gebildet. Es sind Aussagen, die erstaunen, kommen Kommentatoren doch häufig beim Stammtisch-Fachsimpeln nicht über einen eher zweifelhaften Ruf hinaus.

Der Verdacht, an der WM auf Ruefers Meinung zu bauen, verhärtet sich im Gespräch mehr und mehr. Bis er unwiderstehlich wird. „Was ist an der WM möglich für die Schweiz?“, frage ich, obwohl andere Punkte auf meinem Brain Storming mehr Priorität haben. Die Nati-Stimme verweist auf die Weltrangliste, auf welcher die Schweiz auf dem starken achten Platz vertreten ist. Dieser alleine veranlasse eigentlich schon zur Zielsetzung “Halbfinale“, gibt Ruefer zu Bedenken. Man sei aber schon froh, wenn man das Achtelfinale erreiche. „Hauptsache man ist dabei.“, gibt Ruefer als typisch Schweizerische Erwartungshaltung aus. Seine definiert sich anders und kreist sich um die Runde der letzten acht. Nun ja. Sascha Ruefer wäre nicht Sascha Ruefer, wenn er seiner “Nati-Zielsetzung“ nicht gleich auch eine Begründung nachschicken würde. Er analysiert die drei Gruppengegner messerscharf, um sich danach bereits ins Achtelfinale zu denken, wo “entweder Argentinien oder Nigeria“ warten werden.

Ruefer erzählt von Hitzfeld, dessen Einfluss “ganz, ganz gross, riesig gross“ sei. Sekundenbruchteile später sind wir bei Petkovic, den er zwar nicht kritisiert, aber zumindest mit Hitzfelds Stärken vergleicht, wo er machtlos scheint. „Wenn Shaqiri angeschlagen ist und pausieren sollte, kann der Hitzfeld nach München anrufen und seine Kontakte spielen lassen. Der ist unglaublich vernetzt.“ Ob Petkovic fähig ist bei solchen Nuancen an den Schrauben zu drehen, darf zweifelsohne hinterfragt werden.

Man merkt, wie nah Ruefer bei der Nationalmannschaft ist. „Sind Sie Fan, wenn die Schweiz ein Tor erzielt?“, frage ich. Er holt nun aus: „Als ich begann die Schweizer Nationalmannschaft zu kommentieren, wurde mir klar, dass das etwas ganz anderes ist, als die anderen Spiele.“ Wenn er Aarau gegen St. Gallen kommentiere, seien eventuell Anhänger von Aarau oder Anhänger von St. Gallen unzufrieden. Bei Spielen wie Manchester United gegen Bayern München sage man vielleicht, der rede zu viel. Laut Ruefer kommt der Nationalmannschaft eine ganz andere Rolle zuteil. „Es mischt sich ein gewisser Nationalismus mit ein.“ Seine Position ist derweil klar: „Wenn die Schweiz spielt, bin ich in erster Linie Fan dieser Mannschaft. Ich juble, wenn es ein Tor gibt. Ich verzweifle, wenn eine Chance vergeben wurde. “ Ruefer vermeidet es aber ein “Fan-TV“ zu sein. Seine Aufgabe sei es, dem Zuschauer “eine möglichst objektive Meinung“ zu bieten. Er achtet dabei darauf, Wortkombinationen wie “wir hoffen“ zu vermeiden.

Zu den Spielern selbst hat er eine Beziehung. „Allerdings auf beruflicher Ebene.“ Distanz sei wichtig. Immerhin ist Ruefer nicht nur Fan der Schweizer Nationalmannschaft. Dementsprechend gehört es auch zu seinen Aufgaben die Auftritte der Protagonisten auf dem Feld in den 90 Minuten zu beurteilen. „Fühlen sich Spieler dann angegriffen?“, will ich wissen. Ruefer: „Es kommt schon vor, dass einzelne Spieler dann nicht mehr grüssen oder einfach wegschauen.“ Die Antwort erstaunt insofern, weil es den Anschein macht, dass einzelne Spieler die Grenze der angesprochenen beruflichen Ebene nicht ziehen können. Ruefer relativiert aber: „Fussballer sind keine Mimosen. Sowieso: Es unterscheidet sich von Spieler zu Spieler. Je nach Charakter.“ Ruefer macht derweil Gründe dafür im Umfeld der Spieler aus: „Das Umfeld ist auch entscheidend. Die Spieler hören ja nicht, was ich kommentiere. Aber über das Umfeld erfahren sie es dann mitunter sehr schnell.“ Als Paradebeispiel für das Trennen von privaten und beruflichen Angelegenheiten führt Ruefer seine Freundschaft zu Luzern-Keeper David Zibung an: „Er ist quasi mein Nachbar. Wir grillieren und trinken Bier zusammen.“ Wenn er aber eine Partie des FCL kommentiert und nicht drum herum kommt, Zibung zu kritisieren, rufe der nicht gleich an und beschwere sich. „Es ist wie in einer Schachtel versteckt.“, fasst Ruefer zusammen.

In Luzern ist Ruefer, der bereits im zarten Alten von zwölf Jahren fürs regionale Blatt Sportberichte schrieb, mittlerweile wohnhaft. Als ich Ruefer frage, ob er denn seinen Job zu Hause ruhen lassen könne, verrät er: „Ich wohne bewusst in Luzern – auch wenn ich in Zürich arbeite.“ Oder eben, weil er gerade in Zürich arbeitet. Denn: „Ich habe von Zürich eine Autostunde bis nach Hause. Da kann ich jeweils abschalten.“

Ruefer blickt auf die Uhr. Das Flugzeug wartet. Dann ist das Interview vorbei und wir geben uns die Hand. Er bekräftigt noch einmal seinen Wunsch eines Feedbacks.

Tatsächlich mache ich mich an dieses Feedback und verfolge die Partie von Manchester United gegen die Münchner Bayern mit Block und Kugelschreiber ausgestattet. Ich notiere mir bei Minute 58: Tolle Emotionen beim Tor. Gefällt mir.

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