Dienstag, 15. April 2014

Ein Besuch im Fussball-Osten der Stadt St. Gallen

Ein Besuch im Fussball-Osten der Stadt St. Gallen. Von einer Stadionwurst, der Challenge League und Manuel Stahlberger. 

Dann stösst er mit uns an, ein Anhänger der zweiten Mannschaft des FC Basel. Einer von drei Auswärtsfans. Zuvor verwickelt der ältere Herr uns in ein Gespräch. „Ihr habt’s hier wirklich schön.“ Vom Fan-Dasein driftet der leicht alkoholisierte Basler plötzlich in Nebenschauplätze ab, welche wenig mit Fussball zu tun haben. Dennoch: Man respektiert sich. Wir gehen weiter. Nach etwa 20 Metern erblicken wir zuoberst auf der kleinen Stehplatztribüne ein zufriedenes Trio. Wobei: Es handelt sich dabei eher um ein Quartett, wenn man den Hund mitzählt. „Schade, heute ist er nackt.“, seufzt Stefan. Ich sehe ihn irritiert an. „Sonst hat der Hund jeweils ein Trikot von Marc Zellweger übergestreift.“, antwortet er, als wäre es die pure Selbstverständlichkeit, dass man Hunde mit ins Stadion nimmt und darüber hinaus noch mit einem Trikot der St. Galler Fussball-Legende einkleidet. Ich schmunzle. Wir gehen weiter. Dieses Mal stoppt mich der Geruch. Es ist keine Stunde her, als unsere Fotografin Sophie eine gewisse Ähnlichkeit mit dem altehrwürdigen Espenmoos ausmachen konnte. Ich nicke, ob ihrer Aussage, ohne aber eigentlich zu benennen können, was denn die Ähnlichkeit ausmacht. Nun weiss ich es. Der Geruch. Der Geruch der Bratwurst. Laut Machern des Buches “Stadionwurst“ handelt es sich hierbei sogar um die beste Wurst in den Schweizer Stadien. Und anders als in der modernen AFG Arena vermag sich der Geschmack dieser Wurst bis weit ins Stadion zu verteilen. Wir gehen weiter. Die Treppe hoch, wo sich die “Kronen Lounge“ befindet. Vor ihr sind Festbänke aufgestellt. Sie gewähren einen Blick direkt auf das Spielfeld und werden von farbigen Lichterketten ergänzt. Man wird unweigerlich an eine heimelige Beiz erinnert. Unter den dezent leuchtenden Glühlämpchen, die durch die Wucht von vier hell leuchtenden Flutlichtern mehr als unterstützt werden, sitzt man zusammen und parliert über die vergangenen 90 Minuten. Später, so erfahre ich von Stefan, dass bei diesen Bänken die Pressekonferenz für alle Zuschauerinnen und Zuschauer stattfindet. Bei “Stadionwurst“ wird die Vorliebe zur Brühler Fleischspezialität übrigens mitunter so erklärt: „Zugegeben, vielleicht liegt unsere Verzückung teilweise auch an den romantisierenden Begleitumständen.“ Willkommen beim SC Brühl.

Es ist nur gerade gut sieben Stunden her, als ich mit Richard Zöllig, dem Vize-Präsidenten des Vereins zusammensitze. Es sind noch keine 780 Zuschauer hier, wie sie nur Stunden später eine 0:2-Niederlage der St. Galler gegen die Basler sehen. Nur Roger, wohl Platzwart im Paul-Grüninger-Stadion, ist schon da. Man grüsst sich. Und aus “Herr Zöllig“ wird schon im vorherigen Mailverkehr “Richard“. Alles ziemlich unkompliziert. Man kennt sich halt. Es drängt sich aber im selben Atemzug die Frage auf, wie sich die “Krönli“ selbst sehen. Quartierverein oder ambitionierter 1. Liga-Promotion-Club? „Wir sind beides.“, sagt Zöllig. Der SC Brühl sei sehr verankert in der Gegend. „Seit 1911 sind wir hier im Krontal draussen.“, wird Zöllig dann konkret. Die Brühler seien ein Verein mit Herz. Gleichzeitig beschreibt er die Kronen auch als ambitionierten und ehrgeizigen. Er rechnet dann vor: „Es spielen je zehn Teams in Challenge und Super League. Dann kommt die 1. Liga Promotion.“ In dieser wolle man möglichst unter die ersten fünf kommen, was zur Teilnahme an der Hauptrunde im Schweizer Cup berechtigt. „Wir gehören zu den 30 besten Mannschaften in der Schweiz.“, fasst Zöllig zusammen. „In den 1970er und 1980er Jahren wäre man mit einer Position in den Top 30 im Schweizer Fussball immer in der zweithöchsten Liga, der Nationalliga B, gewesen.“

Um weiter den besten 30 Teams anzugehören, arbeitet Zöllig, einst Sport-Journalist beim St. Galler Tagblatt, wo er u.a. auch von der WM 1994 berichtete, selbst tatkräftig mit. Seit dem Aufstieg in die Challenge League, welche eine Geschäftsstelle voraussetzte, arbeitet er nicht mehr ehrenamtlich, sondern mit einem Pensum von 80 Prozent beim SC Brühl. Was denn jeweils so für Arbeiten anstehen würden, wollen wir wissen. Die Aufgaben des Leiters der Geschäftsstelle gestalten sich als ziemlich verschieden. Er ist verantwortlich für die Mitgliederverwaltung, bereitet Aktionen vor, betreut die Website oder verfasst auch Inserate im Vorfeld eines Heimspiels.  Dann lächelt Zöllig und verweist auf die grosse Junioren-Abteilung. „Mit etwa 450 Junioren sind wir der grösste Sportverein der Stadt St. Gallen. Weitet man den Vergleich auf die gesamte Ostschweiz aus, verweist lediglich der FC Rapperswil die St. Galler aus dem Osten der Stadt auf Platz zwei.

Für Valentin Kölbener, A-Junior bei den Kronen, liegen die Vorteile beim SCB auf der Hand, wenn auch einst ein Wechsel zum grossen FC St. Gallen im Raum stand. Kölbener führt aus: „Als ich ein Kind war, sympathisierte ich für die Espen.“ Den Eltern des 19-jährigen kam aber zu Ohren, dass man beim FCSG den Aspekt “Leistung“ ziemlich hoch gewichtete, was für Bedenken sorgte. Die Freude am Fussball könnte ihm vergehen. So spielt der Kanti-Schüler seit er sechs Jahre alt ist beim Sportclub. Und dies durchaus zufrieden. Kölbener beschreibt dabei die Stärken seines Vereins zwar einfach, aber nicht minder treffend. „Bei Brühl gibt es eine tolle Mischung aus Leistung und Spass.“

Er ist sich aber bewusst, wie gross der Schritt in die erste Mannschaft ist. „Es wird schwierig werden.“, bewertet Kölbener die Chancen, sich ins “Eis“ zu spielen. Zöllig sieht das ähnlich, bezeichnet die Schwelle von den A-Junioren zu den Aktiven als “Riesen-Schritt“. Nichtsdestotrotz trainieren zeitweise bis zu fünf A-Junioren bei der Mannschaft von Erik Regtop mit. Dennoch: Das Niveau ist hoch. Zöllig spricht gar von „extrem gutem Fussball“, welcher man im Krontal zu sehen bekommt. Er erklärt das damit, dass die Fussballer heute auch in unteren Ligen sehr gut ausgebildet sind. Bei Gelegenheit gehe er oft auch zu Spielen in der 1. Liga oder der 2. Liga, regelmässig zum Beispiel zum FC Gossau oder dem FC Fortuna. Auch dort wird „sehr guter Fussball“ gezeigt. Dieser besagte hohe Level an fussballerischer Qualität ist für Zöllig nur ein Grund, weshalb Brühl einen guten Zuschauerschnitt von etwa 800 Zuschauern vorweisen kann.

Natürlich ist dem St. Galler Fussballfan auch nicht entgangen, dass sich im Paul-Grüninger-Stadion einiges getan hat in den letzten Jahren. Diese Entwicklung gipfelte im viel umjubelten Aufstieg in die Challenge League.  Zuletzt gelang dies in den 70er-Jahren. Für Zöllig auch eine Genugtuung: „Viele Brühler sprachen von den glorreichen Zeiten in der Nationalliga B damals.“ Man habe nun gezeigt, dass sowas auch in der heutigen Zeit möglich ist. Der Aufstieg ist aber lediglich ein Mosaikstückchen in der bewegenden Geschichte der Brühler, die tatsächlich auch schon Schweizer Meister wurden. Ein Highlight, das in gut einem Jahr sein 100-jähriges Bestehen feiert. Für Zöllig ist die bewegende Geschichte ein weiterer Grund, weshalb der Club in der breiten Öffentlichkeit als sehr populär gilt. Die Geschichte ist derweil eng mit dem Namen Paul Grüninger verknüpft. Er stand vielen jüdischen Flüchtlingen im Zuge des Zweiten Weltkrieges hilfsbereit zur Seite. Heute ist er nicht nur Namensgeber der Sportanlage im Krontal, sondern auch Held eines Kinofilms, welcher sich mit den Taten des Polizisten befasst. „Manche verstehen die Tradition als Rucksack, als Last.“, erklärt Zöllig. Im Idealfall ebnet die Tradition aber den Weg für eine Basis. „So verhält sich das mit dem SC Brühl.“ Die Titel, können einem nicht mehr genommen werden. Genauso wenig wie umkämpfte Duelle gegen den anderen grün-weissen Verein der Stadt, dem FC St. Gallen. Erst in den 70er-Jahren trennten sich die Wege der beiden Vereine nachhaltig. Zöllig vergleicht sich aber ungern mit dem grossen Nachbar.

Es gibt sie aber durchaus, die Kritiker des Super-League-Vereins.

Wir gehen weiter. Stefan trifft auf alte Weggefährten. Angesprochen auf dessen Meinung zum FCSG meint dieser, wenn auch nach einigen Bechern Bier: „Ich hatte 28 Jahre lang eine Saisonkarte im Espenmoos. Aber jetzt geh‘ ich ins Krontal.“ Wir fragen weshalb, worauf er mit Worten wie “familiärer“ oder “unkomplizierter“ begründet. Aber auch Zöllig ist versteht teilweise die Ansicht der Fussball-Romantiker. Er schwelgt in Kindheitserinnerungen: „Als ich klein war, stand ich im Tor. Damals konnte man im Espenmoos noch von Tribüne zu Tribüne gehen. Ich stand dann immer hinter dem Tor, wo ich dem damaligen Schweizer Nationaltorhüter Erich Burgener zusehen konnte.“ Seit man im Espenmoos die Sektorentrennung einführte, geht Zöllig nicht mehr zum FCSG. „Ich finde es einfach heute noch wunderbar, wenn ich meinen Standort im Stadion je nach Spielverlauf ändern kann.“ Vor allem aber die AFG Arena ist nicht nach dem Geschmack aller. Klar versprüht ein Espenmoos eher die reizende Nostalgie, als eine Multifunktions-Arena, welche in der Pause eines Spiels mit Kiss-Cam und House-Musik glänzt. Es ist aber vermessen zu kritisieren. Man beugte sich schliesslich nur den Begebenheiten des Profifussballs. Beim SCB ist man nicht abgeneigt dorthin zurückzukehren. Man ist auf den Geschmack gekommen und bezeichnet das einjährige Intermezzo in der zweithöchsten Spielklasse keineswegs als Betriebsunfall. Viel mehr konnte der SC Brühl dadurch die Strukturen des Vereins verbessern und er wird inzwischen auch national wieder wahr- und ernst genommen, so Zöllig.

Wir verlassen das Stadion. Über den Lautsprecher ertönt ein Song von Manuel Stahlberger. Der St. Galler Künstler, Liedermacher und Comic-Autor war an diesem Abend sogar selber im Stadion und stand in der Schlange, als wir uns ein Bild machten, beziehungsweise einen Biss von der Stadionwurst nahmen. Wir bezahlten dann übrigens in bar. Zu Manuel Stahlberger. Nicht mit der Arena Card. Zu Pitbull. Wir Romantiker. Willkommen beim SC Brühl.























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