Mittwoch, 4. Dezember 2013

Interview mit Thomas Weber und Reto Lemmenmeier

Vor einigen Wochen trafen wir Thomas Weber und Reto Lemmenmeier im Vorfeld des Cup-Achtelfinals gegen Aarau zum Interview. Die beiden sind die Gesichter der vor knapp zwei Jahren gegründeten Fanarbeit St. Gallen. 


"Halbe Stunde. Maximal", sagte ich den beiden, um das Zeitfenster dieses Interviews zu bestimmen. Nun ja, wir sprachen knapp 50 Minuten. An diesem bitterkalten Herbsttag setzten wir uns in die Piazza D'Arena und deckten uns mit warmen Getränken ein. Spielbeginn gegen den Aufsteiger war erst in vier Stunden. So blieb Zeit über Dinge wie ihre tägliche oder eben nicht tägliche Arbeit, Pyrotechnik, das Bild von Fans in den Medien und die Kommerzialisierung im Fussball zu sprechen. Ein tolles Gespräch mit zwei engagierten Fanarbeitern. 

Fängt ihr immer so früh an vor den Heimspielen oder habe ich euch so früh aus dem Bett geholt?

Reto: So etwa (lacht).

Was gibt es denn vor den Heimspielen zu tun?

Thomas: In der Regel haben wir rund zwei Stunden vor Spielbeginn eine Plattform-Sitzung mit dem Vertreter des Dachverbandes und einem Vertreter des FC St. Gallen.

Was wird dort besprochen?

Thomas: Es ist ein letzter Informationsaustausch. Wie viele Gästefans werden kommen? Wann werden sie kommen? Haben die St. Galler etwas geplant? Gibt es eine Choreo? Was auch immer gerade ansteht. Wir lassen jeweils auch die vergangen Spieltage Revue passieren.

Ist die Seite des Stadions auf euch angewiesen? Sind die froh, wenn ihr Informationen liefert?

Thomas: So will ich es nicht sagen. Wir sind alle aufeinander angewiesen. Es ist einfach eine Möglichkeit noch einmal ein Update zu liefern.  Und wenn natürlich grössere Schwierigkeiten erwartet werden, findet der Austausch schon früher statt. Es gibt im Vorfeld einer Partie sowieso Absprachen zwischen den Vereinen. Dort werden die wichtigsten Fragen bereits geklärt. Also heute: Wie viele Aarauer werden kommen? Wir schauen in diesen Sitzungen auch etwas in die Zukunft. Wie laufen die nächsten Spiele ab? Da werden Zeiten für den Extra-Zug besprochen, über das Ticketing wird gesprochen.

Seid ihr da auch zuständig dafür?

Thomas: Nicht zuständig. Das mit dem Extra-Zug läuft, wie das Ticketing, über den Fan-Verantwortlichen des FC St. Gallen. Dieser ist bei den Plattform-Sitzungen auch dabei. Wir sind eher als Unterstützung da, falls es irgendwo ein Problem geben sollte. Diese Sitzung kommt da eigentlich jeweils sehr gelegen. Es gehen sowieso alle Beteiligten an das Spiel. So ist es eine gute Gelegenheit sich auszutauschen.

Steht ihr jeweils in der Kurve beim Spiel?

Reto: Unter anderem. Wir haben einen Zutritts-Badge, mit welchem wir uns im gesamten Stadion bewegen können. Meistens sind wir schon in der Kurve. Nicht immer voll im Zentrum, sondern oft auch auf der Seite, wo die freie Sitzplatzwahl ist. Was wir aber auch machen: Wenn wir wissen, dass eine Choreographie stattfindet, gehen wir auf die Haupttribüne, um uns diese anzusehen.  Was auch möglich ist: Wenn es irgendwelche Probleme gibt mit den Auswärtsfans und wir uns deshalb mit diesen Fanarbeiter vernetzen müssen, dann gehen wir auch in diesen Teil des Stadions. Je nach dem, wo wir gebraucht oder gerufen werden.

Wie sieht das mit der Arbeit unter der Woche aus? Thomas, du arbeitest ja 60 Prozent und Reto 50 Prozent. Sitzt man am Montagmorgen da und erledigt Büro-Arbeiten oder werden Fussball-Zusammenfassungen geschaut? Wie läuft das ab?

Reto: Aufstehen und ins Büro (lacht). Nein: Montagmorgen ist in der Regel frei. Es ist so: Über jeden Spieltag schreiben wir einen Bericht. Einen bekommt der Dachverband Fanarbeit Schweiz und einer wird für das interne Archiv geschrieben. Es wird immer abgewechselt. Entweder habe ich Verantwortung für einen Spieltag oder Thomas. Dieses Mal bin, glaube ich zumindest, ich dran (lacht). Also werde ich Morgen wohl diese Berichte schreiben. Das mache ich dann aber zu Hause. Vielleicht mache ich es morgens um neun, vielleicht erst abends um zehn. Es muss einfach erledigt werden.

Thomas: Die ganze Arbeitseinteilung ist relativ flexibel und nicht immer an Orte gebunden.

Ist doch schön?

Thomas: Ja. Alles andere wäre aber auch fast nicht möglich. Wir haben keine fixen 8-Stunden-Tage.

Ihr müsst also einfach immer eure Arbeiten erledigt haben?

Thomas: Genau. Wir sind grundsätzlich über das Natel erreichbar. Diese Erreichbarkeit ist gewährleistet. Es heisst aber nicht, dass wir in einer Woche ein gewisses Pensum abarbeiten müssen. Wir setzen unsere Stunden also mehr nach Aufwand ein. Fixe Ereignisse sind einfach Sitzungen oder Besprechungen mit Fans, der Stadtpolizei oder der SBB. Diese sind aber auch immer wieder an anderen Tagen. Mittlerweile hat es sich aber so eingependelt, dass wir diese Sitzungen vom zeitlichen Faktor her relativ effizient gestalten können. Heisst: Vielleicht mehrere an einem Tag. Und dann wegen jedem Meeting hin und her zu fahren ist nicht optimal. So haben wir dann einfach Tage, an denen wir vielleicht zehn Stunden arbeiten, was ja dann ein Arbeitspensum von etwa zwei Tagen ausmacht. Dazu haben wir normalerweise jeweils am Donnerstagabend Präsenzzeit im Fanlokal.

Sieben bis neun Uhr, oder?

Thomas: Richtig. Das ist auch die Zeit, wo das Lokal geöffnet hat. Es macht Sinn, wenn wir stets an diesem Donnerstag um diese Zeit zur Verfügung da sind.

Nehmen die Fans diese Möglichkeit mit euch zu sprechen wahr?

Thomas: Ja. Es ist saisonalen Schwankungen unterworfen, aber grundsätzlich: Ja. Es ist selten der Fall gewesen, dass ich umsonst dort gewesen bin. Aber das kann man ja sowieso nicht so sagen. Es ist Teils unseres Jobs präsent zu sein. Natürlich kommt es vor, dass nicht immer überragend tiefgründige Gespräche geführt werden. Wir sind aber da und die Vernetzung findet statt. Nur schon, wenn ich durch das Lokal laufe und die Leute mit einem “Hallo“ begrüsse.

Also die Kontakte pflegen?

Thomas: Genau. Diese Donnerstage sind fix. Wegen der Europa-League-Teilnahme sind wir aber etwas in Überzeit geraten. Also sind wir an diesen Abenden zurzeit nicht immer vertreten, weil wir halt irgendwo Stunden einsparen müssen. Scheidet der FC St. Gallen aus, werden wir aber wieder regelmässig da sein.

Hat neben eurer Tätigkeit mit den Fans auch der Fussball als Sport Platz? Sind ihr da auch am mitdenken und hinterfragen, wenn Saibene mal auf zwei Spitzen umstellt oder gar das System wechseln will?

Reto: Das ist eher privates Interesse, aber für unsere Arbeit nicht relevant, wenn Saibene jetzt mal mit zwei Stürmer spielt (lacht). Aber sicher sind wir interessiert. Wir haben beide Fussball gespielt, sind beide grosse Fussballfans.

Thomas: Es ist ein Türöffner, um mit den Fans ins Gespräch zu kommen. Es wirkt glaubwürdiger und authentischer, wenn der Fan merkt, dass du Ahnung von diesem Sport hast. Du passt so eher in dieses Gefüge hinein. Ein angefressener Hockeyaner kommt vielleicht nicht auf die gleiche Augenhöhe, wie wenn du begeistert bist vom Fussball. Das ist uns auch wichtig. Ich meine: Schliesslich sind wir in ihren Räumen, also dem Fanlokal oder dem Extra-Zug unterwegs.

Wenn ihr an ein Auswärtsspiel geht, wird das auch als Arbeitszeit berechnet?

Thomas: Ja, auf jeden Fall. Grundsätzlich ist alles Arbeitszeit, was wir im Zusammenhang mit unserer Arbeit machen. Also wenn wir am Mittwoch Champions League schauen, dann natürlich nicht (lacht). Wir gehen immer mit dem Extra-Zug mit. Es ist also Arbeitszeit, sobald wird am Bahnhof St. Gallen stehen.

Euer Projekt gibt es seit zwei Jahren und hat es in dieser Form in St. Gallen noch nicht gegeben. Habt ihr euch da etwas aus Deutschland abgeschaut, wo es seit einiger Zeit Pflicht ist oder wurdet ihr da ins kalte Wasser geworfen?

Thomas: Der Sprung ins kalte Wasser war es schon. Ich habe am 1.1.2012 angefangen. Vorher gab es eine zweijährige Phase, wo man sich Gedanken gemacht und Pläne geschmiedet hat. Da hat man sich schon umgesehen, was es so gibt. Vor allem, was es in der Schweiz gibt. Da hat man sich mit der Fanarbeit Luzern vernetzt, da sie von der Grösse und Haltung ähnlich ist, wie St. Gallen. Wir haben dann angefangen mit dem Auftrag diesen neuenRaum mit unserer Arbeit zu füllen.

Was waren denn die ersten Schritte? Wahrscheinlich musstet ihr etwas probieren.

Thomas: Probieren war es nicht unbedingt. Wir hatten ja nicht 100 Chancen. Das wichtigste zu Beginn waren die Kontakte. Wir haben dann anfangs eine Runde gemacht, wo wir zu allen Beteiligten sind. Also zum Beispiel die Stadtpolizei oder die SBB.

Die waren alle offen für euch?

Thomas: Sie haben uns nicht abgelehnt. Unser Präsidium hat uns dort angemeldet und dann sind wir vorbeigegangen und haben unser Projekt vorgestellt, gesagt, was wir vorhaben. Das gleiche haben wir auch bei den Fans gemacht. Da hat es das Fanlokal noch nicht gegeben. So sind wir an die Orte gegangen, wo sich die Fans aufhielten. Auch die Auswärtsfahrten haben wir dafür genutzt.

Ist das gut angekommen bei den Fans?

Thomas: Es hat immer KritikerInnen gegeben. Die gibt auch heute noch. Die grosse Chance dieser Fanarbeit St. Gallen war, finde ich, dass die Fans von Anfang an involviert waren und das auch entwickelt haben. Noch bevor wir zu arbeiten begannen. Es ist auch so, dass die Entscheide vom Vereinsvorstand abgesegnet werden müssen.  Der Trägerverein ist sehr breit abgestützt. Es kann also kein Alleingang von jemandem gemacht werden. Das dient auch als Schutzmechanismus. So ist es nicht möglich, sich in irgendeine Richtung zu entwickeln, die das Ziel der Fanarbeit verfehlt. Als Zwischenbilanz nach diesen gut eineinhalb Jahren  können wir sagen, dass wir einen guten Einstieg geschafft haben. Wir haben vieles richtig gemacht in dieser Kennenlernphase. Auch, dass wir uns den Kritikern stellen und versuchen daraus zu lernen.

Dass alle zufrieden sind, wird es aber nie geben.

Thomas: Da ist wahrscheinlich so. Aber das bringt auch schon die Welt des Fussballs mit sich.

Ihr seid Vermittler zwischen Fans, Polizei, SBB oder dem Verein. Kann man da seine eigene Meinung sagen oder muss man sich diplomatisch verhalten? Stichwort Pyro: Wenn ihr Pyros dumm findet, sagt ihr das dann den Fans?

Thomas: Diplomatisch müssen wir immer sein. Wir müssen aber auch eine eigene Meinung haben. Der Verein für sozioprofessionelle Fanarbeit FC St. Gallen, wie wir heissen, hat nur schon durch den Namen natürlich eine gewisse Nähe zum FC St. Gallen. Wir sind aber eigenständig. Sofern ist es das A und das O, dass wir auch eigenständig bleiben, sonst werden wir unglaubwürdig. Wenn du von der Stadt angestellt bist und du widersprichst einer Stadtpolizei, kann das zu massiven internen Spannungen führen.

Weil sie Geldgeber sind?

Thomas: Vielmehr, weil man dann Vertreter der gleichen Partei wäre, mit gemeinsamen Interessen und Haltungen.

Wie steht ihr zum Thema Pyrotechnik?

Thomas: Da kannst du das Gesetzbuch hervor nehmen (lacht). Es ist so: Pyrotechnik ist verboten. Pyrotechnik wird mit Stadionverbot sanktioniert. An dieser Grundlage orientieren wir uns.Die Chance, dass sich da was ändert, ist gering. Nur schon die Chance auf einen Dialog in dieser Thematik ist im Moment gering. Dies weil diese Diskussion so verbissen geführt wird, – von allen Seiten – dass sich daran kaum etwas ändern wird in nächster Zeit. Es gibt zwei Lager. Die einen sind für Pyro, die anderen dagegen. Die Fronten sind so verhärtet, das es momentan kein Verhandlungspotenzial gibt.

Ist man also so gegensätzlicher Meinung, dass es eine Diskussion unnötig ist?

Thomas: Unnötig nicht. Die Diskussion wäre sogar sehr nötig. Wenn man an einer nachhaltigen Lösung arbeiten will, müssten beide Seiten bereit sein, sich anzunähern. Und so sieht es zurzeit nicht aus. Da spielen alle eine Rolle, auch die Medien.

Ist ja ein grosses Thema, das auch von den Medien gerne aufgegriffen wird.

Reto: Dieses Thema verkauft sich auch gut.

Bleiben wir bei den Medien. Habt ihr das Gefühl, dass Fussballfans ein Image haben, das ihnen nicht gerecht wird?

Reto: Ich bin jetzt seit August in der Fanarbeit tätig. Und ich habe schon das Gefühl, dass das alles etwas überspitzt dargestellt wird. Ein Fussballfan ist ein Fussballfan. Aber er bewegt sich auch auf anderen Plattformen, hat Familie und einen Job. Zum Teil wird aber sehr eindimensional berichtet: „Hooligans haben wieder randaliert“. Eine solche Berichterstattung wird der Realität nicht gerecht.

Es wird also nur auf diese Ereignisse reduziert?

Reto: Genau. Der Boulevard ist da so ein Beispiel. Dort wird vieles überspitzt formuliert und mit Stigmata gearbeitet. Man darf Vorkommnisse nicht verharmlosen, doch etwas mehr Objektivität wäre oft wünschenswert. Es gibt Schwierigkeiten rund um die Fussballspiele, dennoch glaube ich, diese werden in den Medien häufig übertrieben und einseitig wiedergegeben.

Thomas: Was mich am meisten stört bei den Medien ist, wenn Artikel schlecht recherchiert sind. Solche Berichte beruhen nicht selten auf Halbwahrheiten, wo der „Hooligan“ im Vordergrund steht. Als Beispiel das Spiel in Zürich gegen GC, wo wir vor Ort waren. Da werden Berichte aus einer Polizeimeldung abgeschrieben. Wir haben danach mit vielen Augenzeugen gesprochen. Die haben uns gesagt: „Ich sehe in diesem Artikel nicht das, was ich erlebt habe“. Zum Teil wird unzureichend oder unausgewogen recherchiert. Dann werden noch ein paar Schlagwörter zugefügt und schon wird ein Bild kreiert, das in den Köpfen der Öffentlichkeit lange präsent bleibt.

Der Durchschnittsbürger liest die 20 Minuten oder den Blick und glaubt das, was er liest.

Reto: Die Zeitungen wollen das ja auch. Wenn sie hören, dass es irgendwo geknallt hat, wollen sie das in die Zeitung bringen – und möglichst dramatisch.

Weil es sich gut verkauft.

Reto: Es passt offenbar nicht immer ins Programm,  das Vorgehen von Behörden oder anderen Beteiligten zu hinterfragen. Man hält sehr oft an dem Bild fest, das man begonnen hat zu zeichnen.

Thomas: Die Berichterstattung ist sehr eindimensional. Sie konzentriert sich primär auf negative Ereignisse. Über das Positive wird kaum berichtet. Im Zusammenhang mit der Europa-League-Kampagne wurden die St. Galler Fans  zwar auch mal lobend erwähnt. Aber so, wie die Mechanismen heute funktionieren, wird bald auch wieder die nächste Kritik kommen. Das Geschäft läuft so. Da geht es um Klicks auf der Homepage, die Geld geben. Nehmen wir das Beispiel Blick. Der gehört dem Ringier-Verlag. Da gehört auch Ticketcorner hinein. Oder Infront, welche die Super League vermarktet. Auch an Teleclub ist Ringier beteiligt. Auch Spieler oder der Nationaltrainer stehen bei ihnen unter Vertrag. Da geht es darum ein Produkt, also hier den Fussball, zu schaffen, das sich gut verkaufen lässt. Und da können unberechenbare Fussballfans, die johlend und oben ohne durch Städte ziehen stören.

Stört euch das oder sagt ihr euch, dass sowieso nichts dran ändern kann?

Thomas: Da sind zwei Ebenen drin. Die persönliche und die professionelle Ebene. Mittlerweile sind wir mehr und mehr abgehärtet. Wir wissen, wie es wirklich ist, weil wir Woche für Woche dabei sind. Dagegen anzukämpfen ist schwierig, da sind wir zu klein. Aber wir wollen die Flinte nicht ins Korn werfen. In der Medienarbeit, die wir machen, also eher regional, versuchen wir die andere Seite ins Spiel zu bringen. Heisst: Wenn wir den Journalist kennen, der was Falsches geschrieben hat, weisen wir ihn darauf hin, wie es wirklich war. Nach dem Spiel in Valencia war da auch so eine Geschichte. Am Samstagmorgen wurde ein Bericht publiziert, nach welchem St. Galler Fans Fackeln ins Stadion bringen wollten. Wir standen zwei Stunden vor dem Stadion und haben de facto keine einzige Fackel gesehen. Da wird die öffentliche Meinung verfälscht. Diesen Journalist haben wir dann angerufen und gefragt, ob man da was machen kann.

Reto: In diesem Zusammenhang sieht man auch, was ein Satz auslösen kann. Vor allem im Bezug auf die Pyro-Debatte. Da wäre es auf einmal verständlich, wie die Polizei dort zu Werke gegangen ist.  Da sagen dann schnell ein paar, wie richtig es ist, dass die FCSG-Fans mal eine kassiert haben. Dabei waren die gar nicht dabei und wissen gar nicht, wie fies die spanische Polizei vorgegangen ist. Da kann die öffentliche Wahrnehmung mit nur einem Satz sehr beeinflusst werden.

Wie seid ihr überhaupt zu eurem Beruf gekommen?

Thomas: Relativ simpel. Über ein Stelleninserat wurde ich darauf aufmerksam gemacht. Ich habe in Bern studiert und so auch die Fanarbeit etwas kennengelernt. Ich wusste, dass es das gibt. Dann habe ich gegen Ende vom Studium eine Stelle gesucht und wurde im Stelleninserat fündig. Sehr unspektakulär (lacht).

Ich habe gehört, die Fanarbeit ist jetzt in den obersten beiden Schweizer Spielklassen Pflicht.

Thomas: Da gibt es Unterschiede. Die vereinsinterne Fanarbeit ist mittlerweile Lizenzrelevant. Das nennt sich dann Fanverantwortliche. Dort arbeitet man verantwortlich für Verein und Fans. Sozioprofessionelle Fanarbeit gibt es noch nicht so viel in der Schweiz. Bern, Basel, Zürich, Luzern und der SCB.

Macht es Spass? Hört sich nicht schlecht an, wenn man auf Arbeitszeit Fussballspiele besuchen kann.

Reto: Es ist ein spezieller Job, das ist so. Ich habe im sozialen Bereich gearbeitet. Ich wollte eigentlich einen Jugendarbeit-Job suchen. Bei der Stellensuche bin ich dann darauf gestossen. Als ich den Vertrag unterschrieben hatte, wusste ich noch nicht, dass wir uns für Europa qualifizieren. Und dann noch während der Arbeitszeit an Fussballspiele zu gehen ist auch sehr positiv.

Was gibt es für Schwierigkeiten?

Reto: Schwierig ist es natürlich, dass man nie alle zufrieden stellen kann. Einfach, weil man stets vermitteln muss. Man kommt da manchmal etwas zwischen die Fronten. Aber da muss man darüber stehen. Und anders als bei einem Büro-Job müssen wir sehr flexibel sein. Manchmal arbeitet man am Sonntag, kommt dann teils erst nachts um zwei nach Hause, wenn der FCSG auswärts spielte. Aber das ist allgemein bei sozialen Berufen so. Wir können auch nur schwierig planen. Die nächste Woche kann ruhig werden. Am Dienstag kann aber auch ein Telefon kommen und auf einmal haben wir gehörig zu tun.

Thomas: Das faszinierende an diesem Job, neben der Tatsache, dass es ihn nur zehn Mal neben uns gibt in der Schweiz, das man den Fussball spürt – bei allem, was wir machen. Wir sind bei allen Protagonisten nahe dran und spüren auch dessen Intensität. Es ist sehr spontan. Nicht auf Trainer oder Transfers bezogen. Wie Reto gesagt hat: Die nächste Woche wird vermeintlich easy. Aber es kann am Montag oder Dienstag etwas passieren und auf einmal haben wir alle Hände voll zu tun. Das finde ich sehr spannend.

Ihr seid vorher weiter weg gewesen vom Fussball. Jetzt seid ihr sehr nahe dran. Hat sich euer Bild über den Fussball verändert?

Thomas: Was mich extrem beeindruckt ist, das ich jetzt Gesichter dazu habe. Früher, vor etwa 15 Jahren, als ich noch regelmässig ins Espenmoos ging, kannte ich schon einige Leute aus der Szene. Seit ich hier arbeite, bin ich einfach auch näher dran und habe Gesichter zu diesem Ganzen, aus Club, Liga, Polizei und Politik. Man merkt auch, wie hohe Wellen der FC St. Gallen in der Region schlägt, wie wichtig der FC St. Gallen für die Region ist. Das finde ich sehr eindrücklich. Der FC St. Gallen war zu den Zeiten im Espenmoos immer ein sehr nahbarer Verein. Nach den Turbulenzen in den letzten Jahren ging man hier raus in den Westen und niemand wusste so recht, was jetzt kommt.

Seid ihr da eher Fussball-Romantiker? Oder sagt ihr: Hey, die AFG Arena ist doch modern, toll! Ist ja auch so eine Frage mit der Torlinientechnik. Die einen sagen, sie wollen am Montag darüber diskutieren,  da sei Fussball. Andere sagen da geht es um zu viel Geld. Her damit.

Reto: Ich bin da eher Romantiker, wenn wir das mit der Torlinientechnik mal raus lassen. Natürlich sehe ich auch diese Kommerzialisierung. Das sind zum Teil Zwänge. Irgendwann muss man sich entscheiden. Bleibe ich in der Challenge League oder baue ich ein modernes Stadion und versuche so zu investieren? Das beste Beispiel ist St. Pauli in Deutschland. Die versuchen sich seit Jahren dieser Kommerzialisierung irgendwie zu entziehen. Klar, das Stadion wurde schon modernisiert. Dafür sind aber die Eckfahnen immer noch mit dem Totenkopf-Symbol versehen. Man versucht dort einen Kompromiss zu finden. Das sagt dort aber auch der Manager den Fans: „Wenn wir mindestens 2. Bundesliga spielen wollen, müssen wir da mitziehen.“ Das ist der Lauf der Zeit.

Thomas: Ich persönlich finde Pauli kein guter Vergleich. Dort hat man es geschafft eine Marke zu kreieren. Der Club ist gut aufgestellt, man hat auch noch immer das Millerntor, aber wenn du durch Hamburg läufst hat jeder zweite ein Pauli-Shirt an. Man hat ja gar eine eigene Kleider-Linie. Ob ich Fussball-Romantiker bin? Da bin ich hin und her gerissen. Auch die Geschichte mit der Europa League. Es ist cool das zum miterleben und dann auch grosse Clubs zu sehen. Aber das ist eine völlig andere Liga. Das ist nicht vergleichbar mit der Situation in St.Gallen Hier muss und man darf sich auch der Kommerzialisierung hingeben. Ich finde es aber am wichtigsten, dass man seine Identität nicht verliert. Die Zweifel an der AFG Arena verstehe ich dann schon. Das hat weitaus weniger mit dem FC St. Gallen zu tun als das Espenmoos. Die Geschichte fehlt und der Standort ist weit ausserhalb des Zentrums.  Ich denke aber, im Nachhinein hat sich dieser Schritt gelohnt. Was mich persönlich stört, ist wenn während dem Spiel Vermarktung betrieben wird. Wenn sich das im Drumherum abspielt, ist es ok. Aber wenn dann während dem Spiel jede freie Minute und jeder Meter im Stadion mit schillernder Werbung gefüllt wird, ist es meiner Meinung nach übertrieben. Die 90 Minuten dürfen nicht von Werbung dominiert werden. Das Spiel steht im Zentrum.

Reto: Mich stört es, wenn der Fussball zum Event-Anlass wird. Man kann sich ja diese Red-Bull-Vereine ansehen.

Leipzig unter anderem.

Reto: Genau. Da kannst du dir das Red Bull an den Platz bringen lassen. Es soll einfach um den Fussball gehen. Wenn in der Pause etwas Musik läuft, ist es auch nicht schlimm.

Thomas: FIFA-Präsident Sepp Blatter hat seine Vorstellung des Fussballs so erklärt: „Der Fussball soll wie der Gang in die Oper sein.“

Höchst umstritten dieser Mann.

Thomas: Vor allem in den grossen Ligen und Verbänden, geht es nur noch ums Geld. Ich denke aber, dass wir heute in St. Gallen eine glückliche Situation haben. Sie nehmen diese Kritiken ernst. Sie nehmen den Espenblock ernst. Das sieht man auch bei den Ticketpreisen. Die Stehplatzpreise sind in der Schweiz mit die günstigsten – trotz des neuen Stadions. Man hätte auch problemlos die Stehplätze zur neuen Arena abschaffen können. Da spürt man, dass es dem Club wichtig ist. Mein erstes Heimspiel in der jetzigen Funktion besuchte ich anfangs 2012 gegen Delemont in der Challenge League. Dort hat der Espenblock einen Stimmungs-Boykott abgehalten. Da war nichts. Keine Stimmung. Da war nichts mehr da.

Guter Abschluss. Was ist Fussball ohne Fans?

Thomas: Ein Spiel

Reto: Habe die gleiche Meinung. Das wäre dann einfach 5.Liga, wo du mit den Freunden eine Runde bolzen gehst. 

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