"Lass den Stiel, ich bin Jörg.", schreibt er bereits in den Mails, die zu unserem Interview führten. Heute Morgen um neun Uhr im La Vela, einem heimeligen Kaffee mit südländischem Flair direkt am See in Rorschach, bestätigt sich dieser Eindruck von einer angenehmen, unkomplizierten Lockerheit. Er erkundigt sich erstmal nach mir, will wissen, wer ich bin. Klar, mittlerweile gehört der Fussball,Schatz zur Elite in Sachen Sportjournalismus. Dennoch: Irgendwie fühlt es sich gut an, wenn ein Name wie Jörg Stiel sich für sein Gegenüber in diesem Interview interessiert. Danach belehrt er mich, nachdem ich ein früheres Interview von ihm falsch interpretiert hatte. Er tut dies aber auf eine warme Art - und ein Gratis-Tipp für spätere Interviews gibt's obendrauf. Es vergehen keine Minuten bis mich das erste Mal das Gefühl überkommt mit einem alten Freund am Tisch zu sitzen. Ich blicke auf mein Handy - 09.33 Uhr. Über eine halbe Stunde quatschen wir bereits. Ja, man vergisst die Zeit in einem guten Gespräch.
Danke, dass du dir Zeit genommen hast.
Mit Interviews habe
ich keine Probleme. Schliesslich hat man bei Interviews die Möglichkeit mit
dem, was man sagt, sich gegen Aussen zu positionieren. Ein gewisser Gegenwert
also. Wenn es um Auftritte geht, rufen mich manchmal Leute an und fragen: „Wir
haben dann und dann noch diesen Anlass. Kannst du nicht vorbeikommen? Früher
hätte ich gesagt: Ja, kann ich machen. Aber heute? Keine Zeit. Ich unterscheide
zwischen Privatem und Geschäftlichem. Mit Salzi (Rainer Maria Salzgeber, d.
Red.) mache ich ein Podium. Ich habe mein Honorar, wo ich sage: Schau, so viel
muss ich haben. In einem gewissen Kontext passe ich das aber an.
Es geht also um die
Sache?
Es geht um die
Sache. Ich habe auch schon Dinge gemacht für Non-Profit-Organisationen. Ganz am
Anfang habe ich gesagt: Drei Flaschen Amarone sind auch okay. Das mache ich
aber auch heute noch, wenn es eine gute Sache ist. Es ist einfach so, dass je
älter ich wurde, desto deutlicher wurde mein Fokus. Anfangs bist du am
heraussuche, am herausfinden, was du überhaupt kannst, was du überhaupt
willst. Ich bin jetzt an einem Punkt, wo ich sage: Diese
Prioritäten gibt es. Das Eine ist Geld zu verdienen. Wenn ich mit Salzi das
Podium mache, dann habe ich Spass und werde dafür noch bezahlt. Passt! Es gibt
aber auch Dinge, die mache ich nicht, weil ich keine Lust darauf habe.
Natürlich gibt es aber auch eine Schmerzgrenze, wo du sagst: Eigentlich doof,
wenn ich es nicht machen würde.
Du hast in deiner
Zeit als Fussball gut verdient. Schaust du immer noch auf das Geld oder nimmt
das im Alter ab?
Ich habe nicht so
viel verdient, dass ich jetzt noch davon leben könnte. Ich habe drei Jahre in
der Bundesliga gespielt. Die Löhne damals waren noch anders als sie heute sind.
Da gab es extreme Veränderungen in den letzten zehn Jahren. Wenn ich heute die
drei Jahre in Gladbach machen würde, würde ich zwei oder zweieinhalb Mal so
viel verdienen, wie damals. Heisst: Ich muss auf das Geld schauen, habe aber
auch Investitionen gemacht für später. Zum Beispiel mein Geschäft, das ich
zusammen mit meinem Partner habe.
Ihr verkauft Reusch-Torwandhandschuhe?
Genau. WS4Sports –
das sind mein Geschäftspartner und ich. Eine Investition von mir – Denn: Ein
Teil gehört mir. Das ist die Sache, die sich so in den letzten zehn Jahren
entwickelt hat. Mit dem Fussball konnte ich einfach in der damaligen Zeit, also
währenddessen, wunderbar leben.
Du hast dein
Geschäft angesprochen. Was machst du genau? Wie sieht dein Tagesablauf aus?
Siehst du ja: Um
neun Uhr Tee trinken (lacht).
Würde ich gerne
tauschen…
Nicht schlecht, was?
Ja!
Nein, ernsthaft. Wir
haben ein Sommer- und ein Wintergeschäft. Das Sommergeschäft beinhaltet
Torwarthandschuhe, Torwart-Accessoires, verschiedene Fussbälle, allgemein
Fussballzubehör. Über eine englische Firma beziehen wir dazu Merchandising-Artikel
von Grossklubs. Heisst: Chelsea,
Barcelona, Real Madrid oder was auch immer. Das ist das Kerngeschäft.
In einem Laden?
Nein. Wir haben kein
Laden, sondern Lieferant für die Sportgeschäfte. Also Manor, Ochsner Sport,
Athleticum oder Dosenbach. Und: Die Industrie. Man kann keine Produkte bei uns
direkt kaufen, sondern muss in einen dieser Geschäfte gehen. Sprich: Wir
verkaufen an Geschäfte, nicht an den Endkonsumenten. Ich übernehme etwa 80% in
der gesamten Schweiz, wo wir unsere verschiedenen Kollektionen verkaufen, bin
aber nur für den Sommer zuständig. Mein Partner übernimmt derweil den Winter
und macht die Geschäftsführung. Er ist also im Prinzip mein Chef. Wir sind
zwölf Personen in der Firma. Das geht vom Lagerist, über vier Frauen im
Innendienst und weitere Angestellte, die wir haben.
Macht es Spass?
Ja, es wird immer
besser.
Toll. Schliesslich
ist es kein seltenes Phänomen, das wenn man aufhört mit Fussball, Mühe hat in
dieses neue Leben zu wechseln.
Das war bei mir
genau gleich. Jeder, der was anderes sagt, ist meiner Meinung nach eine
Ausnahme. Es ist schwierig sich zu finden. Man stellt sich, da lebt man in
einer Welt, wo dir ausser auf dem Fussballplatz alles vorgegeben wird. Du musst
nichts selbst entscheiden, alles wird für dich gemacht. Du kommst dann
plötzlich in eine Situation, wo du selbst schauen musst. Du musst dich fragen,
was du willst oder was du überhaupt kannst. Und das ist extrem schwierig. Ich
habe lange gehabt, wirklich lange, bis ich damit klargekommen bin. Man
verändert sich kontinuierlich auf dem Weg. Hoffentlich verändert man sich. Die
Einstellung, das Gefühl, die Prioritäten werden anders. Fussball war bis dahin
alles für mich. Der Fussball hat auch sehr viel ausgeglichen in meinem Leben.
Zum Beispiel auch
ihre Scheidung…
Zum Beispiel. Die
erste Priorität war einfach immer der Fussball. Und dieser hat sehr viel
ausbalanciert.
Ist das etwas, auf
das du stolz sein kannst, dass du diesen Weg geschafft hast?
Stolz? Naja. Ich
steh jetzt mit beiden Füssen auf diesem neuen Weg und muss jetzt beginnen zu
laufen.
Aber vermisst du
dabei nicht selbst Fussball zu spielen? Gerade gestern, als du Champions League
geschaut hast.
Ich sehe, wie
schnell die heutzutage spielen. Juve gegen Real habe ich gesehen. Dieses Tempo…
War ein gutes Spiel,
nicht?
Wenn du siehst, mit
welcher Präzision, mit welcher Schärfe, mit welcher Athletik die spielen,
kannst du froh sein, dass du nicht mehr dabei bist. Natürlich, wenn ich heute
spielen würde, passt man sich natürlich an. Aber der Fussball ist für mich
einfach eine Geschichte, auf die ich zurückblicken kann. Ich habe sehr viel
mitgenommen. Ich habe viel Gutes mitgenommen. Aber auch viel “Scheiss“
mitgenommen. Aber um das geht es schlussendlich. Dass du die Erfahrungen, die
du machst, später einmal brauchen kannst.
Man muss die
Erfahrungen aber auch richtig verarbeiten können.
Genau. Ich habe auch
zu diesen gehört, die nichts gelernt haben. Heute sehe ich aber viele Dinge
anders.
Hast du das erst
nach deiner Karriere als Torwart gelernt?
Ja. Ich musste ja
vorher gar nicht überlegen. Was musste ich mir denn damals überlegen?
Zweimal am Tag
Training…
Höchstens. Du hast
eine etwas anstrengende Vorbereitung, bist etwas kaputt. Aber ich hatte einen
Trainer, der auf mich geschaut hat.
Hans Meyer?
Der hat das alles
auf mein Wohlbefinden abgestimmt. Der wusste, wie alt ich bin und hat dann auch
gesagt: „Hey, geh zur Massage.“
Du hast einmal
gesagt, er sei der beste Trainer, den du je hattest. Dann hat er gesagt, …
…er sei auch der
einzige gewesen (lacht).
Was war Hans Meyer
für ein Mensch?
Der Hans ist ein
wunderbarer Mensch. Wir haben auch jetzt noch Kontakt. Aus dem einfachen Grund,
dass wir miteinander nie über Fussball gesprochen haben. Er hat immer gesagt: „Stiel,
du bist ein Fussball-Blinder.“ Für ihn hatte der Torwart nicht speziell Ahnung
von Fussball. Ob das wirklich wahr ist, weiss ich nicht. Ich sehe schon etwas
beim Fussball, aber das tut jeder im Stadion, ist auch gut so. Aber Hans und
ich haben uns immer auf einer menschlichen Ebene getroffen. Sicherlich habe ich
ihm auch das geboten, was er gebraucht hatte.
Erfahrung und Ruhe,
nehme ich an.
Ja. Und auch in der
Mannschaft hat das alles sehr schnell funktioniert. Ich habe ihm da etwas
gelöst. Auf der einen Seite hat er das, glaube ich, sehr zu schätzen gewusst
und auf der anderen Seite habe ich ihn als tollen Mensch schätzen gelernt. Weil
er mehr ist, als ein Trainer. Der Mensch dahinter ist fantastisch.
Das war dir wichtig?
Das Fussball-Geschäft gilt ja teils als sehr oberflächlich.
Es kommt darauf an,
wie man es erlebt.
Ist es also nur ein
Klischee, dass Fussball oberflächlich ist?
Wir alle neigen
etwas dazu, dass man Dinge fix beurteilt. So ist es oder so ist es. Wir wollen
diese Dinge irgendwie greifen können. Ich denke, wer nicht im Fussball-Geschäft
war, kann es nicht verstehen. Und wer drin war, der muss auch erst diese
Schlüsse daraus ziehen, was dort überhaupt passiert. Das andere ist: Am Montag
war ein Freund von mir, ein Ex-Spieler, hier.
Kenne ich ihn?
Max Eberl.
Der Sportdirektor
von Borussia Mönchengladbach.
Ja. Ich kenne ihn
seit 2001, spielte mit ihm zusammen.
Er hat seither etwas
zugenommen.
Ja (lacht). Ich habe
noch ein Foto zuhause, als er noch etwas dünner war. Auf jeden Fall haben wir
nicht viel über Fussball gesprochen. Das finde ich schlussendlich entscheidend –
zumindest für mich.
Also nimmst du aus
dem Fussball vor allem Menschliches mit?
Im Endeffekt geht es
um das. So unmenschlich wir manchmal sind, wenn wir Dinge nicht sehen,
ausblenden oder verdrängen, sind wir auf der anderen Seite auf das angewiesen.
Du kannst alles machen – egal welcher Job. Wenn du auf die Person um dich herum
nicht eingehst, kommt es nicht gut.
Das ist unabhängig
vom Fussball?
Voila! Da ist der
Fussball sehr nah am Leben. Wenn du gestern das Spiel geschaut hast. Caceres,
dieser Aussenverteidiger,…
…der den Fehler
gemacht hat.
Was glaubst du ist
in dem vorgegangen? Der wird heute denken: Wie konnte ich nur? Das einzige, was
er gemacht hat, ist den Ball in den eigenen Reihen halten wollen. Vidal hat den
Ball am gegnerischen Strafraum zurückgespielt. Dann kam Caceres an den Ball und
der wollte hinten durch spielen.
Dann fälschte
Ronaldo den Ball ab, der dann auf Benzema kam und dieser wieder zurück auf
Ronaldo spielte. Tor.
Genau. Und was
meinst du, geht in diesem Menschen vor? In dem Moment, wo er den Ball spielt, in
dem Moment, wo das Tor passiert und in dem Moment, wo er die Flanke für den
Ausgleich gibt.
Eine Achterbahnfahrt
der Gefühle.
Meinst du, das
ärgert ihn nicht? Qualität ist, wenn man dann gerade steht und nicht daran
zerbricht. Das ist menschliche Qualität.
Auch wieder
unabhängig vom Fussball.
Richtig. Bei der “normalen“
Arbeit gibt es auch solche Situationen. Und du wirst dir am nächsten Tag auch
überlegen, was du da für einen Mist gemacht hast. Schlimm sind nur die, die
sich keine Gedanken machen. Und schwierig ist es, wenn man sich deswegen kaputt
macht und kein Bein mehr vor das andere bringt. Das kann man im Fussball nicht
bringen, während das im Job noch eher geht.
Da kann man noch so
viel Talent haben. Stichwort Thomas Broich, von welchem es ein Film gibt. Der
ist mit viel Talent ausgestattet, kam aber in der Bundesliga nicht klar und
spielt jetzt in Australien.
Thomas Broich, der
Doktor, der Professor (lacht).
Ja, er ist etwas
speziell. Er habe in der Garderobe Bücher gelesen und hörte immer klassische
Musik.
Schau: Ich kann dir
ein Bild von mir zeichnen, wo du sagst: Den habe ich aber ganz anders
wahrgenommen. Ich kann dir auch ein Bild zeichnen, das du willst. Also: Wie du
willst, das ich bin. Ich kann dir aber auch noch ein drittes Bild zeichnen, wo
du sagst: Das ist aber noch interessant. Broich hat sich für das erste Bild
entschieden. Anders sein.
Hat das kein Platz
im Fussball?
Sicher, er lebt es
ja. Er ist ein sehr guter Fussballer und hat dann einfach gesagt: Hey wisst ihr
was, ich gehe.
Wenn man zufrieden
ist.
Was will man mehr?
Der Fussball hat ihm eine Chance gegeben. Es ist etwas paradox. Er sagt ja,
dieses Drumherum im Fussball interessiere ihn nicht. Gleichzeitig macht er aber
einen Film darüber.
Verträgt sich nicht so
ganz.
Es ist eine gewisse
Diskrepanz vorhanden. Ewald Lienen war als Spieler gegen Star-Kult, hat keine
Autogramme gegeben. Als Trainer stand er aber nach den Spielen in den
Fankurven. Was ist das, was du sagst und das, was du machst?
Man muss leben, was
man sagt?
Damit hat jeder
Mühe. Damit habe auch ich meine Mühe. Das ist mit Sicherheit ein riesiges Thema: Was du gegen aussen bist und was du
tust.
Ist das im Fussball
noch extremer? Da wird man von der Presse stets an seine eigenen Aussagen
erinnert.
Natürlich. Aber im
Leben ist es genauso schwierig. Dort wird dich früher oder später das enge
Umfeld daran erinnern, was du gesagt hast. Es wir Situationen geben, wo du
dastehst und denkst: Scheisse, das war mir nicht bewusst. Solange man niemand
damit verletzt, ist es nicht schlimm. Dann geht’s nur um Glaubwürdigkeit. Wenn
man aber jemand damit verletzt, sind es Lügen. Das ist ein Unterschied. Darum
habe ich gelacht. Ich finde es noch witzig, dass er sagt, er wolle keine
Öffentlichkeit, macht aber gleichzeitig einen Film. Das alles ist aber immer
ein Reifeprozess. Wichtig ist einfach, dass es ein Prozess ist, dass man sich
bewegt.
Ist Fussball auch Entertainment?
Ich denke schon. Man
kann dem “Infotainment“ sagen – ein Teil Informationen und der andere Teil
Entertainment. Da gibt es ja so viele Geschichten in Deutschland. Man kann ja
alles machen. Aus dem einfachen Grund, dass es am nächsten Tag keine Sau mehr
interessiert. Man spricht vielleicht noch ein oder zwei Tage darüber. Aber dann
kommt schon die nächste Story. Wenn ich in Deutschland in einer Zeitung etwas
gesagt habe, ist vielleicht am nächsten Tag der Sportdirektor gekommen und hat
gefragt, ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe, das könne ich doch
nicht machen. Aber am nächsten Tag war die Sache bereits wieder vom Tisch, weil
neue Geschichten kamen.
Ist die
Medienlandschaft in Deutschland wirklich so extrem?
Ich habe halt keine
Probleme gehabt. Ich denke, das hat aber auch damit zu tun, wie ich mit den
Journalisten umgegangen bin. Ich habe sie nicht als Feinde gesehen. Und stell
dir vor es ist ein Fussballspiel und niemand geht ins Stadion.
Der Fussball lebt
also von den Medien?
Es ist sogar ein
grosser Teil! Auch für die Wirtschaft und die Politik interessant. In
Deutschland hast du ein Dreieck – Wirtschaft, Politik und Fussball. Diese drei
Komponenten arbeiten zusammen. In der Schweiz ist das nicht der Fall.
Ist das in
Deutschland so viel ausgeprägter?
Wenn ich Borussia
Mönchengladbach anschaue, wie die aufgestellt sind. Das ist kein Verein mehr.
Das ist eine Unternehmung. Und im Vergleich ist das noch ein eher kleinerer
Verein in Deutschland.
Dazu ist das Stadion
immer voll. 50‘000 Zuschauer.
Das ist interessant
für die Politik. Denn: Schlussendlich sind die Leute, die wählen, im Stadion. Und
das ist eine Gegend, wo auch Dortmund, Schalke, Leverkusen, Köln oder auch
Düsseldorf spielt.
Hunderttausende, die
wöchentlich ins Stadion gehen…
…und die kann man
sich zu nutzen machen. In der Schweiz ist der Stellenwert des Fussballs ganz
ein anderer.
Hat das nicht auch
mit der Grösse des Landes zu tun?
Ich weiss nicht. Die
Grösse ist sicherlich nicht ganz unerheblich. Wir Schweizer funktionieren
einfach anders. Nicht besser, nicht schlechter – einfach anders. Da muss man
sich aber nicht gross Gedanken machen. Man kann es nicht beeinflussen. Einige
Regionen funktionieren da besser, einige weniger gut. Der FC Basel ist beispielsweise
nachhaltiger, weil sie Titel gewinnen. Durch die Champions League kommt zwar
auch Geld hinein, das braucht man aber um das Budget einzuhalten. Schliesslich
steigen auch die Löhne, wenn man Champions League spielt und weiter spielen
will. Das ist dann ein Kreislauf.
Die Schweiz ist und
bleibt also eine Ausbildungsliga?
Ich würde schon
sagen. Und das ist auch richtig so. Was muss das Ziel sein von einem Schweizer
Verein? Er muss eine gute Basis haben. Sprich: Eine gute Junioren-Abteilung, um
die erste Mannschaft mit jungen Spielern zu füttern, die wiederrum verkauft
werden. Ergänzt wird der Kader von günstigen Spielern, die im Rahmen der
Möglichkeiten sind und einem auch weiterhelfen können. Nehmen wir als Beispiel
den FC St. Gallen.
Karanovic, Nater,
Janjatovic…
Auch Mutsch.
Ich finde, der macht
das hervorragend – auch auf der Sechs.
Genau! Der macht
einen super Job. Das wäre so das Gebilde einer Mannschaft. Dann gibt es einen
Kreislauf. Junge Spieler in den Kader nehmen, die vielleicht etwas Ausbildungsentschädigung
kosten, und dann Spielzeit gewähren. Die werden interessant für andere Vereine und dann kannst
du sie verkaufen. Ein Teil eines solchen Transfers geht dann wieder in die
Junioren-Abteilung, um diese weiter zu entwickeln und so ergibt das ein ständiger
Kreislauf. Deshalb: Ausbildungsliga? Ja, mit Sicherheit. Für die jungen Spieler
ist es eine hervorragende Liga. Man sieht auch immer wieder was möglich ist –
oder eben nicht. St. Gallen gegen Valencia. Das ist aber überhaupt kein
Problem, das finde ich völlig in Ordnung.
Mich stören diese
Leute, die dann sagen: St. Gallen ist schlecht und so weiter. Ist doch schön,
dass sie dabei sind, nicht?
Naja, dieses “schön,
dass sie dabei sind“ tönt so nach Schweizer.
Ist das der grosse
Unterschied zwischen Deutschland und der Schweiz? Die Deutschen sagen: Wir
wollen Erster werden! Und die Schweizer sind froh, wenn sie dabei sind.
Genau! Wobei ich
finde, dass Saibene das gut formuliert hat. Er sagte: „Wir sind da, um
Erfahrungen zu machen.“ Das muss auch das Ziel sein. Wenn St. Gallen jetzt
jedes zweite Jahr international spielt, ist das völlig in Ordnung. Jedes Jahr
ist schwieriger. Da müsste man den Kader verbreitern.
Und das ist mit
Risiko verbunden?
Ja. Da müsste man
sich fragen, was will man investieren und was kann man investieren. Wenn man
aber als Ziel ausgibt, jedes zweite Jahr Europa League zu spielen, dann ist das
okay. Die Champions League ist schon sehr weit weg. Momentan sind sie ja auf
Platz fünf und müssen der Dreifachbelastung Tribut zollen. Aber auch das ist okay.
Vielleicht wechselt dann einmal ein Spieler, weil er sich woanders eher auf
diesem internationelen Parkett präsentieren kann. Aber dann fliesst wieder Geld
in die Kassen, wo wir wieder bei diesem Kreislauf sind. Aber ich finde, der
FCSG macht das gut.
Gehst jeweils noch
ins Stadion?
Nein, ich schaue die
Spiele im Fernseher.
Trainer wolltest du
nie werden? Wäre ja der klassische Weg nach der Spielerkarriere.
Ich hatte keine Lust
jeden Tag auf dem Platz zu stehen. Es hat sich nie ergeben und ist auch kein
Bedürfnis. Trotzdem habe ich durch die Firma viel mit Fussball zu tun, arbeite
mit jungen Torhütern wie Benjamin Siegrist (U17-Weltmeister, d. Red.) von Aston
Villa zusammen. Zwischendurch spiele ich gerne Fussball. Mit den
Alt-Internationalen spiele ich ab und an in einem Verein zusammen. Dazu
organisieren Andi Egli und Pascal Jenny vom Arosa Tourismus das Turnier in
Arosa (inoffizielle Schnee-Fussball-WM mit Grössen wie Freddy Bobic, Michael
Reiziger, Lothar Matthäus, sowie hochkarätigen Gästen wie Waldemar Hartmann),
was unheimlich Spass macht. Man trinkt eins, spielt ein bisschen und spürt am
nächsten Tag seinen Körper, weil man älter wird (lacht). Dazu war ich noch
Torwarttrainer.
In Österreich.
Ja. Aber nur ein
halbes Jahr. Da trainierten wir zwei Mal in der Woche und ich konnte relativ
einfach gutes Geld verdienen. Ich meine aber eher die zweieinhalb Jahre Torwarttraining
bei den B-Juniorinnen des FC Au-Berneck. Hat extrem Spass gemacht, kam aber nur
zustande, weil meine Tochter dort spielt. Sonst wäre ich dort nicht gelandet,
auch nicht auf die Idee gekommen, dort zu landen.
Du machst das, was
dir Spass macht?
Ja! Ich hatte
wirklich Spass mit diesen zwei Girls. Wir haben bei Adam und Eva angefangen und
sind jetzt, wo ich aufgehört habe, nicht mehr bei Adam und Eva. Und im
Nachhinein bin ich froh, habe ich nicht den Trainer gemacht.
Wieso?
Ich habe mich nicht
in dieser Rolle gesehen. Das wäre mir komisch vorgekommen an der Seitenlinie.
Unser Trainer sagte
immer: „Der Torwart und der linke Flügel – das sind “vohrruckti Sieche.“ Stimmt
das Klischee?
Ich hatte immer das
Gefühl die Leute vor mir sind nicht ganz dicht. Also ich bin der Normale. Ich
denke, aufgrund dieses Jobs muss man etwas extrem sein. Das hat sich auch in
meinem Privatleben ausgewirkt. Man schwebt immer zwischen super gut und super schlecht.
Wenn man ein Fehler
macht und dafür zehn überragende Paraden zeigt, spricht man noch immer vom
Fehler.
Richtig! Das macht
dich wahrscheinlich auch etwas extrem. Aber dieses Exzessive, das man da
teilweise als Torwart im Spiel lebt, wenn es einem selbst nicht auffällt, wie
man ist, habe ich mittlerweile gut im Griff.
Hat dieser Zustand
bei dir nach 90 Minuten aufgehört?
Nein.
Hast du es also mit
nach Hause gebracht?
Nach Hause gebracht
habe ich es nicht. Aber ich habe es woanders ausgelebt, auf Partys oder weiss
ich was. Aber ich glaube, es hat gebessert (lacht).
Bleiben wir bei den
Torhütern. Ter Stegen ist bei Barcelona im Gespräch. Würdest du ihm den Schritt
empfehlen oder kommt dieser zu früh?
Was heisst zu früh?
Die Frage ist: Wo spielt er? In der Bundesliga spielt er. Marc…
Du kennst ihn?
Ja. In Gladbach ist
er einer der Gesichter dieses Teams, dieses Vereins. Er steht für Gladbach. Ich
denke, dass diese Erfahrung mit der Verantwortung, die er hat, die er trägt und
auch trägen kann, sehr gut für seine Entwicklung. Und man darf nicht vergessen,
dass es nur loses Interesse von Barcelona ist. Er hat noch keinen Vertrag auf
dem Tisch. Den nächsten Schritt würde ich in zwei Jahren machen. Der ist jetzt
21 und hat schon bald 100 Bundesligaspiele gemacht. Er ist jetzt an einem Punkt,
wo er sich positioniert hat, spielt konstant. Jetzt kann er bei Gladbach einen
sehr guten Vertrag unterschreiben und seinen Marktwert weiter steigen lassen.
Dann müsste jemand eine Ablöse zahlen, dass man sagen muss, den muss ich auch
als Nummer Eins spielen lassen. Und zurzeit ist er sowieso ein Held in
Gladbach.
Du meinst den
verhinderten Abstieg 2011?
Ja. Ich habe ihn bei
seinem ersten Bundesligaspiel gesehen gegen Köln – Abstiegskampf. 18 Jahre alt
war er. Und diese Selbstverständlichkeit, die er da ausstrahlte, war
beeindruckend.
Du sagtest ja auch
einmal, dass Zieler, Baumann oder Neuer weniger Ausstrahlung haben als ter
Stegen. Mir fallen vor allem Vergleiche zu Oliver Kahn auf. Stimmt das?
Ja, das sagt er ja
auch selbst.
Die Kahns und
Effenbergs – sind diese Typen am aussterben?
Die ganze
Spielkultur hat sich halt verändert. Wer ist vom FC Barcelona ein Typ?
Puyol vielleicht?
Ich sage: Iniesta
ist ein Typ, Xavi ist ein Typ. Dass sie nach dem Spiel bei den Interviews nicht
auf den Putz hauen und stattdessen über die Mannschaft sprechen, finde ich
legitim. Du sprichst von Effenberg. Was hat der gemacht? Der hat einfach die
Fresse aufgerissen. Das kann man aber auch in der Kabine machen.
Deutschland gegen
Italien – EM-Halbfinale. Man sagt, da hätte es solche Leute aber gebraucht.
Man müsste
verschiedene Beispiele haben, um das Vergleichen zu können, ob denn das stimmt.
Dazu hat sich der Fussball verändert. Man kann es also nicht sagen. Und: Diese
Typen, die gibt es noch. Marc ist einer davon. Dante ebenfalls. Dann gibt es
noch diese Vögel wie Arnautovic, wo du nie weisst, was du jetzt kriegst. Auch
Diego von Wolfsburg. Manchmal genial, manchmal genial daneben. Es ist auch eine
Frage, wie man es ansieht. Wichtig ist, wie es in der Mannschaft intern ist.
Ok.
Aber auch die
Presselandschaft hat sich verändert. Da entstehen halt auch Storys. Aber wenn ich
höre: Marco Streller und Murat Yakin…
Ja…
Da schläft mir das
Gesicht ein. Marco Streller sei sauer, weil er ausgewechselt wurde. Ja
hoffentlich ist er sauer. Ein Fussballer will spielen. Und Muri hatte etwas im
Kopf, Muri ist Trainer. Der darf das. Dann hört man gestern in der
Halbzeitpause bei Real gegen Juve das Interview mit Georg Heitz über die
Zukunft von Yakin. Der Heitz sagt dann: „Yakin hat Vertrag.“ Und schon wird
spekuliert. Klar, die Medien müssen ja auch etwas machen. Das einfachste wäre
gewesen, wenn Koller Nati-Trainer geworden wär. Nun ja, der hat abgesagt, als
keiner mehr damit rechnete. Wobei: Wer Marcel kennt, der weiss, dass das
passieren konnte.
Ich nehme es ihm
nicht übel. Der hat dort etwas aufgebaut, der diesem Projekt seine Handschrift
gegeben.
Das ist Marcel. Der
hat in seinem Bauch das Gefühl gehabt, dort noch nicht fertig zu sein. Das hat
er auch in Bochum gemacht, bis man ihn entlassen hatte. Vier Jahre hat er dort
konsequent gearbeitet.
Man sieht ja, wo
Bochum jetzt ist (12. Platz in der 2. Bundesliga).
Ja, das meine ich.
Vier Jahre mit einer blinden Mannschaft in der Bundesliga zu bleiben, schafft
nicht jeder. In St. Gallen wurde er mit einer durchschnittlichen Truppe
Meister. Auch mit GC wurde er Meister. Das Problem ist, das er nach Köln ging.
Wie beim HSV, dort
wird zu viel geredet.
Overath redet, der redet und dort wird noch
gesprochen. Und als er dann Trainer in Österreich wurde haben sich alle
beschwert. Prohoska und Polster motzten nur schon, weil er Schweizer ist. Aber
in der Bundesliga hat noch keiner von ihnen trainiert. Mittlerweile ist nur
noch Polster, der gegen Koller ist. Aber auch nur, weil er wohl selbst Nationaltrainer
Österreichs sein will. Marcel Koller ist jetzt dort eine ganz grosse Nummer. Nur
war das nicht entscheidend für Marcel. Der will einfach Stück für Stück sein
Projekt voran bringen.
Das merkt man ja
auch. Man scheiterte eigentlich nur wegen der starken Gruppe an der
WM-Qualifikation.
Ja. Und man hat
sogar Schweden zu Hause geschlagen. Wann haben die zuletzt Schweden geschlagen?
Er sieht dort das Potenzial, das zweifelsohne vorhanden ist. Erst wenn das
ausgereizt ist, will er den nächsten Schritt machen. So ist Marcel. Deshalb:
Überrascht hat es mich nicht, aber es ist schade für die Schweiz. Er ist ein
geiler Typ.
Wer wird es denn jetzt?
Ich weiss nicht.
Muri denke ich nicht, das macht kein Sinn. Er soll Vereinstrainer bleiben und
seine Erfahrungen machen. Favre auch nicht, der ist bei Gladbach und soll dort
auch bleiben. Wer bleibt noch?
Michel Pont?
Wäre eine Variante.
Er kennt die Mannschaft. Was mir spontan in den Sinn kam: Ein Holländer. Einer
wie van Marwijk. Der ruht in sich, hat Erfahrung, hat Konzept und ist offen für
neue Spieler. Die Sprache ist natürlich auch wichtig. Ein Chinese wäre also
nicht ideal.
Gratuliere!
AntwortenLöschenEin wirklich lesenswerter Dialog zwischen zwei intelligenten Menschen. Dass dabei der Fussball "die wichtigste Nebensache" der Welt bleibt macht das Interview noch spannender.
Weiter so