Montag, 21. Oktober 2013

Interview mit Tranquillo Barnetta

Wir sind auf den Geschmack gekommen in Sachen Interviews und lassen deshalb das Interview mit Tranquillo Barnetta folgen. Balsam für die, wegen Beendigung der OLMA, arg gebeutelte Ostschweizer Volksseele. 

Es ist ja nicht so, als hätte ich Befürchtungen gehabt, dass Tranquillo Barnetta mit irgendwelchen Star-Allüren aufwarten würde. Dass dieses Interview aber so locker ist, war nicht zu erwarten. Da wurden einige Mails ausgetauscht und kurz auf WhatsApp geschrieben. Wunderbar unkompliziert. "Ostschweizgetrunken" durch die grosszügige Präsenz an der OLMA, ging es bei diesem Gespräch in gleichem Stile weiter. In breitem St. Galler Dialekt wusste er etwa von einer möglichen Rückkehr zum FCSG zu berichten. 

Heute frei gehabt?

Nein, wir haben am Morgen trainiert.

Und was macht man da als Fussballer so am Nachmittag?

Wir sind zu viert oder zu fünft etwas essen gegangen. Dann bin ich nach Hause, da es noch einiges zu tun gibt - Büro-Zeugs und so weiter. Schliesslich bin ich noch nicht lange in der neuen Wohnung. Man kann da aber jeweils schon etwas unternehmen. Eben, essen gehen oder beispielsweise auch ins Kino.

Also kein Hotel? Schon in einer Wohnung?

Ja genau! In den ersten Wochen war ich in einem Hotel, dann habe ich eine Wohnung gefunden.

Zurück zu deinem freien Nachmittag. Findest du der Beruf des Profi-Fussballers wird unterschätzt? Nicht wenige denken, man verdient viel zu viel für das, was man leistet.

Das sind dann natürlich etwas die harten Worte. Klar ist es nicht so, dass wir so trainieren, wie man es etwa bei einem Leistungssportler sieht. Wenn man aber international spielt, hat man alle drei, vier Tage ein Spiel. Das bringt natürlich eine Erholungsphase mit sich, die auch sehr wichtig ist. Körperlich läuft man da teils am Limit, da sind nur schon Erholungen wie ein Mittagsschlaf sehr wichtig. Ein anderer Faktor, der bei mir zwar nicht vorhanden ist, darf man auch nicht unterschätzen. Wenn man eine Frau und Kinder hat und dann nur zwei Mal in der Woche zu Hause ist, da man zum Liga-Betrieb noch international spielt, ist schon auch schwer.

Du bist jetzt für ein Jahr nach Frankfurt ausgeliehen, wurdest vor einigen Jahren bereits an Hannover ausgeliehen. Wie ist das nun? Willst du einfach Gas geben, um an der WM dabei zu sein oder identifizierst du dich ab der ersten Sekunde mit dem neuen Verein?

Nein, Nein! Da identifiziere ich mich von Anfang an mit dem neuen Verein. Wenn es nur ein Spiel wäre, würde das Ganze vielleicht etwas anders aussehen. Aber ein Jahr ist lange, Immerhin eine ganze Saison. Fussball ist ein Mannschaftssport, da will man im Team erfolgreich sein. Und sowieso: Sobald die Mannschaft erfolgreich spielt, profitiert jeder einzelne davon. Wenn wir eine gute Saison spielen, dann wird wohl auch geschrieben: Barnetta hat eine gute Saison gespielt. Man wird sicherlich positiver wahrgenommen, wenn der eigene Verein erfolgreich ist.

Deine Zeit in Frankfurt ist vorerst befristet. Im nächsten Sommer geht es, laut Vertrag, zurück nach Schalke. Machst du dir da Überlegungen vielleicht bei der Eintracht zu bleiben oder denkst du einfach von  Tag zu Tag und lässt alles auf dich zukommen?

Ich denke von Tag zu Tag. Im Fussball geht es so schnell, das man schlecht richtig voraus planen kann. Fakt ist, dass ich bis Sommer 2014 für Frankfurt spiele und dann der Vertrag bei Schalke weiterläuft. Was aber im kommenden Sommer passiert, kann ich noch nicht sagen. Da müssen andere Personen zusammensitzen und das beurteilen. Sowieso: Es ist noch zu früh, um darüber zu reden.

Bleiben wir bei der Bundesliga. Ein Thema, das ich bereits letzte Woche im Interview mit Ludovic Magnin aufgegriffen habe, ist die Diskussion in Sachen fehlende Typen. Du hast noch mit Spieler wie Ramelow und Bernd Schneider gespielt, bist gegen Oliver Kahn angetreten. Wie siehst du das Ganze?

Das kann schon sein. Es hat sich halt alles etwas geändert. Viele junge Spieler laufen bereits in jungen Jahren in den Profi-Teams auf, was früher viel seltener vorkam. Durch das ist die Zusammensetzung einer Mannschaft natürlich anders. Es sind bereits viele jüngere Spieler in den Mannschaften vertreten. Hierarchien, wie es sie früher gab, wo die Jungen nicht sehr viel zu sagen haben, gibt es heute nicht mehr viel. Es wird eigentlich strikt nach Leistung aufgestellt. Wenn der 17-jährige besser spielt, als sein Kontrahent auf gleicher Position, dann spielt der 17-jährige. So kann man durchaus von einem Generationenwechsel sprechen.

Du bist mit 17 Jahren dennoch bereits Stammspieler beim FC St. Gallen gewesen. Zeitgleich hast du ein Jahr Kantonsschule und eine dreijährige KV-Lehre abgeschlossen. Hilft dir das im heutigen Leben als Fussballer?

Ich habe sicherlich sehr viel von dem profitieren können. Es war keine einfache Zeit für mich. Ich musste alles unter einen Hut bringen. Menschlich aber, hat mich das sehr voran gebracht. Als ich noch nicht in der ersten Mannschaft spielte, hatte ich am Abend Training und musste die Hausaufgaben danach machen. In der ersten Mannschaft trainierten wir am Morgen. Am Nachmittag, als alle Mitspieler frei hatten, ging ich in die Schule oder ins Büro. Das sind schon Erfahrungen, die im Nachhinein wichtig für mich sind. Da lernt man auf die Zähne zu beissen. Auf das bin ich stolz. Auch, dass ich die Lehre erfolgreich abgeschlossen habe. Das habe ich aber nicht gemacht, um nach meiner Fussball-Karriere wieder auf diesem Beruf arbeiten zu können. Es wäre sehr schwierig, sich bei einer Firma zu bewerben, wenn man zehn oder 15 Jahre nichts mehr auf diesem Beruf gemacht hat. Ich habe es deshalb mehr gemacht, um ein zweites Standbein zu haben. Ich wusste nämlich damals noch nicht, ob es für eine Fussballer-Karriere reicht. Es gab mir sehr viel Sicherheit zu wissen, dass ich mit der KV-Lehre noch eine zweite Möglichkeit besitze.

Du steuerst auf die 30 zu und warst auch neben dem Fussballplatz sehr ehrgeizig. Kannst du dir also auch vorstellen nach der Karriere etwas zu machen, das nicht mit Fussball zu tun hat?

Ich kann mir sehr gut vorstellen danach so etwas zu machen. Im Fussball ist es sicherlich sehr, sehr schön. Aber es ist dennoch eine eigene Welt. Von dem her könnte ich mir schon vorstellen, etwas völlig anderes, als etwas mit dem Fussball, zu machen.

Stichwort “eigene Welt“. Meinst du damit auch dieses immense Medienaufkommen in diesem Sport?

Auch, ja klar! Man ist täglich der Öffentlichkeit ausgesetzt. Leute, die einige Dinge über dich lesen, meinen, dass sie dich kennen. Das ist sicher ein spezielles Leben. Das gehört aber dazu, man gewöhnt sich daran. Deshalb schaue ich das als Teil dieses Berufes an.

Ist das aber etwas, das dich stört, diese gewisse Öberflächlichkeit, die der Fussball mit sich bringt?

Es ist unterschiedlich. Man lernt natürlich auch viele Leute kennen, kommt schnell ins Gespräch. Es gibt sehr positive Menschen, denen man begegnet. Es hat aber, wie gesagt, auch seine Schattenseiten. Wenn Leute denken, sie kennen dich, tun sie aber nicht. Es gibt also immer zwei Seiten. Ich denke, das gehört dazu und man muss es akzeptieren. Sonst läuft man Gefahr daran kaputt zu gehen. Es ist Teil des Berufs, deswegen muss man damit umgehen können.

Zum Sport: Seit du in Frankfurt bist, hast du alle acht Spiele bestritten. Zufrieden?

Ja, sehr! Ich glaube, ich habe mit diesem Wechsel alles richtig gemacht. Es ist das schönste, wenn man jede Woche in der Bundesliga auflaufen kann. Leider war das bei Schalke nicht immer der Fall, was eine etwas schwierige Zeit war. Bisher konnte ich aber für Frankfurt jedes einzelne Spiel bestreiten. Ich bin sehr gut gestartet, als ich gekommen bin. Leider haben wir in den letzten vier Spielen in der Bundesliga nur Unentschieden gespielt. Von der Punktzahl her, könnte es daher gerne mehr sein, vor allem weil wir zwei Mal in den letzten Minuten den Ausgleich kassierten. Von der Leistung her, kann man also zufrieden sein. In den nächsten Spielen sollen dann einfach möglichst die Einen oder Anderen Punkte dazu kommen.

Viele sagen, das Geld spiele keine Rolle. Ein Stück weit ist das mit Sicherheit gelogen. Man konnte aber lesen, du hättest auf viel Geld verzichtet, um nach Frankfurt zu wechseln. Bist du also einer, dem das Vertrauen des Trainers und die Spielpraxis im Hinblick auf die WM wichtiger ist, als die, sagen wir einmal, Million, die du hättest mehr verdienen können?

Mein Wechsel ist das wohl das beste Beispiel dafür. Es ist kein  Geheimnis, das ich mehr verdient hätte, wenn ich bei Schalke geblieben wäre. Mit dem Hintergrund der WM und dass ich in Frankfurt ein guter Verein habe, bei dem ich auch spielen kann, verzichte ich gern auf ein bisschen Geld. Und wie du sagst: Klar spielt Geld eine Rolle. Aber durch den Wechsel kann ich sehr viel mehr spielen und habe die Freude am Fussball wieder zurück. Das war für mich, auch im Hinblick auf die Nationalmannschaft, viel wichtiger.

Bleiben wir bei der Nationalmannschaft. Sascha Ruefer, der jeweils eure Nati-Spiele auf SRF kommentiert, machte bei der Qualifikation für Brasilien eine gewisse Selbstverständlichkeit für euer WM-Ticket aus. Wie erklärst du dir das?

Ich finde es sehr, sehr wichtig, dass man diese Qualifikation nicht als selbstverständlich ansieht. Denn: Wir sind ein kleines Fussball-Land und somit ist es eine grosse Sache, wenn wir uns für so ein grosses Turnier qualifizieren. Sicherlich ein Faktor war aber, dass man sich auf diese Qualifikation vorbereiten konnte. Vor den letzten beiden Spielen führten wir die Gruppe mit fünf Punkten Vorsprung an. Von dem her ist es nicht mit einer Barrage zu vergleichen, wie 2005, als wir es eng war, als es emotional war. Dann sind natürlich mehr Emotionen im Spiel als jetzt, wo man sich etwas vorbereiten konnte. Es kam halt durch diesen Vorsprung weniger überrascht. Ich glaube aber nicht, dass das heisst, dass wir uns deswegen weniger freuen würden oder weniger stolz wären – das wäre ein grosser Fehler.

Sprechen wir noch etwas über deine Heimat. In einem Interview sagtest du einmal, das sei ganz klar St. Gallen – klar, dort bist du aufgewachsen. Kannst du aber nach so vielen Jahren in Deutschland sagen, es ist zu deiner Heimat geworden oder schlägt dein Herz noch immer für St. Gallen?

Ich glaube schon, dass mein Herz noch immer in St. Gallen ist. Heimat ist dort, wo man aufgewachsen ist, wo man seine Freunde hat. Von dem her wird das für mich immer St. Gallen bleiben. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich mich in Deutschland nicht wohl fühlen würde. Trotzdem ist meine Heimat die Ostschweiz.

In der Ostschweiz ist auch der FC St. Gallen zu Hause. Verfolgst du den FCSG regelmässig?

Ja klar! In den letzten Wohnungen hatte ich immer Schweizer Fernsehen und konnte so immer wieder Spiele schauen. Wenn es zeitlich passt, schaue ich sehr, sehr gerne. Natürlich kann man es aber nicht gleich verfolgen, wie wenn man nah dran ist. Nach den Resultaten informiere ich mich aber immer. Vor allem jetzt, wenn es so gut läuft. Gerade in der Europa League ist es natürlich phänomenal, was sie da zeigen.

Bist du dann immer noch ein bisschen Kind? Wenn der FCSG gewinnt freust du dich riesig oder hat da schon eine gewisse Distanz Einzug gehalten?

Sicher mit einer gewissen Distanz. Wenn man aber einmal Fan ist, bleibt man Fan. Auch wenn ich im Stadion bin, gehe ich lieber hinter das Tor, als auf die Haupttribüne. Dort sind alle meine Freunde. Von dem her bin ich sicher noch etwas Kind. Es ist zwar nicht mehr das gleiche, wenn man über Jahre bei anderen Teams gespielt hat. Ich freue mich aber dennoch riesig, wenn der FC St. Gallen so Erfolge feiern kann.

Du hast öffentlich auch nie ein Geheimnis gemacht, dass du zum FCSG zurückkehren möchtest. Welche Faktoren spielen bei einer Rückkehr eine Rolle?


Ich glaube, das Geld spielt dann keine Rolle mehr. Der FC St. Gallen ist mein Herzensverein. Falls es irgendwann klappe würde, will ich den Verein dann natürlich nicht in den Ruin treibe, weil sie mein Gehalt stemmen müssten. Ich würde da schon entgegen kommen. Ich hoffe, dass ich irgendwann wieder für St. Gallen spielen kann, sofern es die Gesundheit zulässt und ich auch etwas leisten kann. Momentan ist das allerdings noch Zukunftsmusik, da ich noch Verträge habe, die laufen. 

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