Freitag, 25. Oktober 2013

29. Mai 1985, Heysel - der schwärzeste Tag im europäischen Fussball

Heysel, 29. Mai 1985. 39 Tote, 454 Verletzte - Bilanz eines als Fussball-Fest geplante Veranstaltung. Ein Abend, der den Fussball prägen sollte.


Ich tippe das Wort "Heysel"  bei Google ein und schaue nach Bildern. Ich scrolle nach unten. Doch überall werde ich mit den schrecklichen Bildern vom 29. Mai 1985 konfrontiert. Ich scrolle weiter nach unten und werde endlich fündig - ein Bild, das nicht mit dem verhängnisvollen Mittwochabend zu hat. Es zeigt das Gelände der Weltausstellung, welche 1935 und 1958 in Brüssel stattfand. Schliesslich ist Heysel ein Teil von Brüssel, der Hauptstadt Belgiens. Heysel wird wohl aber eher als Namensgeber einer verheerenden Katastrophe im europäischen Fussball in die Geschichte eingehen. 

Die Vorfreude war gross auf dieses Finale im Europapokal der Landesmeister, dem Vorgänger der heutigen Champions League. Juventus Turin gegen den FC Liverpool. Zweifelsohne eine Affiche, die dazumal einiges versprach. Platini (heutiger UEFA-Präsident), Prandelli (Nationaltrainer Italiens) oder auch Dalglish (bis 2012 Trainer des FC Liverpool) sind alles Namen, die man auch heute noch kennt. 

Die Temperaturen an diesem 29. Mai sind hoch, es ist heiss. Heiss geht es auch in Brüssel zu und her. In der Innenstadt stimmen sich die beiden Fan-Lager ein auf dieses Finale. Es fliesst viel Bier und Wein, schliesslich soll der Durst gestillt werden. Bis auf wenige Ausnahmen bleibt das Treiben der englischen und italienischen Fans friedlich. Es ist Nachmittag, als die Fans in Richtung Stadtteil Heysel pilgern. Dort, wo das Heysel-Stadion steht, der Austragungsort des Finales. Seit Monaten sind alle knapp 60'000 Tickets vergriffen. Die meisten, die eines ergattern konnten, befinden um 18.45 Uhr, also rund 90 Minuten vor dem vorgesehenen Spielbeginn, bereits im Stadion. Anders als noch vor wenigen Stunden präsentiert sich die nun aber die Stimmungslage. Es knistert. Der Alkohol, sowie die nur noch wenig verleibende Zeit bis zum Anpfiff, geben der Gefühlslage in den Fan-Kurven eine angespannte Färbung. Was unverständlich scheint, ist die Tatsache, dass die Fans der Reds direkt neben die Juve-Anhänger positioniert werden. Später sollte sich herausstellen, dass dieser Bereich, Block Z genannt, eigentlich neutralen belgischen Zuschauern vorbehalten gewesen wäre, durch einen korrupten UEFA-Mitarbeiter aber an ein italienisches Reisebüro weiterverkauft wurden. So tummelten sich im neutralen Sektor fast ausschliesslich Fans, die in schwarz und weiss gekleidet waren. Nur durch einen einen einfachen Drahtzaun getrennt, beginnen die ersten Provokationen. Schnell werden Fackeln gezündet und Steine geworfen. Es ist kurz nach sieben Uhr, als es den berüchtigten Engländern gelingt die Abtrennung einzustürzen. Sie stürmen den Block der Turiner. Es kommt zu Jagdszenen. Die Juve-Fans versuchen zu flüchten und rennen weg. Polizei? Fehlanzeige. Eine Menschenmenge staut sich am Ende des Juventus-Sektors an. Von hinten rücken aber weiter panisch Leute nach, die flüchten wollen. Nur wenigen gelingt es, sich über die hohen Mauern aufs Spielfeld zu retten. Ein Bild des Schreckens. Leute drohen unter dem gewaltigen Druck der Menge zu ersticken. Qualvolle Schreie sind zu hören. Kurz vor halb acht gibt ein Teil der Mauer nach und bricht weg. Einige werden darunter begraben. In 45 Minuten sollte Anpfiff sein, doch daran ist gar nicht zu denken. Die ersten Sanitäter fahren ein und stellen ein Bild der Verwüstung fest. Direkt vor der Tribüne wird versucht die Leute zu verarzten. Es herrschen chaotische Zustände. Während es der völlig überforderten Polizei gelingt die Situation mit den aggressiven Liverpoolern halbwegs unter Kontrolle zu bringen, wird über die Absage des Spiels beraten. Eine Frage, die sich eigentlich gar nicht stellt. Die Spieler, mittlerweile über die Geschehnisse informiert, wollen zu einem grossen Teil nicht antreten. Auf Rat des Schweizer Schiedsrichters André Daina, einiger UEFA-Funktionäre, sowie Verantwortliche der Polizei entscheidet man sich aber die Partie durchzuführen. Michel Platini beschrieb diese Augenblicke in seiner Biographie so: "Um 20 Uhr kam ein Vertreter des Europäischen Fussballverbands in die Umkleide. Er fragte uns: Seid ihr bereit zu spielen? Einige Spieler verneinen. Er dreht sich zu ihnen und sagt: Wenn ihr nicht spielt, gibt es da draussen nicht dreissig Tote, sondern hundert." Das Spiel findet statt. 87 Minuten nach dem vorgesehenen Anpfiff rollt der Ball. Juve gewinnt mit 1:0 nach einem Elfmeter Platinis nach 55 Minuten. Sein euphorischer Jubel hat einen makaberen Beigeschmack.

14 Anhänger des FC Liverpool wurden später teils mit Gefängnisstrafen sanktioniert. Englische Fussballvereine durften fünf, die Reds sechs Jahre nicht mehr an einem europäischen Vereinsturnier teilnehmen. Vier Jahre später kam es in Hillsborough beim FA-Cup-Halbfinale zwischen Nottingham Forrest und dem FC Liverpool zu einer weiteren Tragödie, die 96 Tote und 766 Verletzte forderte. Seither verfügt das Wappen des 19-maligen Meisters über zwei Fackeln und den legendären Schriftzug "You'll never walk alone". Im Jahr 1993 wurde in ganz Grossbritannien die Abschaffung von Stehplätzen angeordnet, die sich mittlerweile auch auf die internationalen Spiele ausdehnte.


Ich tippe noch einmal das Wort "Heysel" bei Google ein. Rechts ist gross geschrieben: King Baudouin Stadium. 1995 wurde das Heysel-Stadion umgebaut und King Baudouin Stadium genannt. Es gibt keine Stehplätze mehr. Sowieso: Es erinnert so gar nicht ans Heysel-Stadion. Trotzdem wird man mit dem Namen "Heysel" immer an den 29. Mai 1985 erinnert, selbst wenn jetzt ein anderes Stadion dort steht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen