Schreiben als Therapie. Auf der Suche nach dem verlorenen Kribbeln und Gründen zur Niederlage gegen den FCB.
Viele dieser ganz besonderen Spiele gibt es ja
nicht mehr. Nur noch selten kribbelt es vor dem Anpfiff. Auch vor mir hat das
Erwachsenwerden nicht Halt gemacht. Die Tage fliegen zwar vorbei, nur kürzer
werden sie nicht. Die Zeiten, wo ich nach einer Champions-League-Woche die Tage
zählte, bis wieder diese wunderbar heroisch anmutende Hymne ertönen würde, sie
sind nicht mehr vorhanden. Etwa zehn Jahre ist es jetzt her. Chelsea gegen
Barcelona war damals so ein Spiel. Mit einem kleinen aufmüpfigen Spieler, der
den Ball von der Strafraumgrenze unnachahmlich an die Latte setzte. Heute kennt
man ihn als Messi. An der Seitenlinie stand Jose Mourinho, allerdings noch ohne
grauen Haare. Das Älterwerden macht auch vor ihm nicht Halt. Nicht, dass ich
Anhänger von Chelsea oder Barcelona gewesen wäre, nein. Aber es war damals so
ein Spiel, das sich einbrannte. Ein Spiel, bei dem es kribbelte, bei dem man
alles aufsagt. Ein Spiel, das im Vorfeld für herrlich hitzige Diskussionen
sorgte.
Später ging ich dann ins Espenmoos, was
durchaus eindrücklich ist für einen Jungen, der so langsam beginnt am
Teenageralter zu kratzen. Profi-Fussball aus nächster Nähe, zusammengepfercht
in einer Holztribüne, die 90 Minuten ohrenbetäubender Lärm machte. Womöglich
schlummerte damals schon der hoffnungslose Fussball-Romantiker in mir, weshalb
mir dieses sich alle zwei Wochen wiederholende Erlebnis immer wieder
sympathisch war. Bratwurstgeruch, biergetränkte Holzdielen und Fussball empfand
ich damals schon als äusserst angenehm. Hinzu kam der jeweils beachtliche
Menschenauflauf im Heiligkreuz. Ich hatte das Gefühl, die ganze Stadt sei auf
den Beinen. Ja, es kribbelte jeweils.
Beim Wechsel in die AFG Arena veränderte sich
vieles. Nicht einmal zwingend deshalb, weil eine Multifunktionsarena nur
bedingt mit einer legendären Bogen-Tribüne mithalten kann. Ich war es, der sich
veränderte. Der Fussball verkam zum Tagesgeschäft – auch für mich. Ekszessiver
Fussball-Konsum und die steigenden Anforderungen des Lebens verhinderten die
vorfreudige Fokussierung auf einzelne Spiele. Zumal der FC St. Gallen nur wenig
Plattform für kribbelnde Fussballabende bot. Zwar gab es zwei Aufstiege zu
feiern, dennoch waren diese frei von jeglicher Dramatik. Man geht halt trotzdem
hin, tut sich Nyon oder Concordia an. Aus Liebe, vielleicht auch als kleiner
Appell ans Karma. Irgendwann soll sich diese Mühe lohnen.
Irgendwann war gestern. Wenn der
Champions-League-Teilnehmer und Serien-Meister FC Basel zum Cup-Halbfinal in
der prallgefüllten Heimspielstätte des FC St. Gallen antritt, dann ist etwas in
der Luft. Dann kribbelt es, dann saugt man auf. Auch das Erwachsenwerden- oder
sein hält sich für ein paar Stunden zurück. Die Stunden vor dem Spiel gestalten
sich als Weihnachtstag 2.0. Man kann nicht mehr warten, will Geschenke, will
Bier, will das Spiel, dieses verdammte Kribbeln. Es siegt diese kindliche
Naivität auch noch Hoffnungen in die Espen zu setzen. Und wo Hoffnungen sind,
da sind zwangsläufig auch Erwartungshaltungen. Wenn es zudem noch darum geht,
eine Saison in die richtigen Bahnen zu lenken, die man zu verspielen droht,
dann ist die Fallhöhe beträchtlich.
Um 23.12 Uhr hatte mich dieser Fussballabend
endgültig zermürbt. „Ich hasse Fussball!“, schreibe ich einem Freund. Ich bin
aber noch bei mir und prognostiziere für den morgigen Tag wiedererlangte
Begeisterung für die schönste Nebensache der Welt. Dennoch bin ich enttäuscht.
Enttäuscht darüber, wie man dieses seltene Kribbeln einfach so wegwerfen kann.
Vor allem weil es scheint, dass nur wenige der St. Galler Mannschaft ebenfalls
über dieses Kribbeln verfügten. Die Aussicht auf den Cup-Final, auf die
Europa-League-Gruppenphase und zudem ein beispielloser Hexenkessel schien in
den knapp 17'000 Zuschauern mehr auszulösen, als bei den Grün-Weissen auf dem
Feld.
Bei genauerer Betrachtung erweist sich aber
nicht das Spiel gestern als die grosse Ernüchterung. Die Niederlage gegen Basel
ist die Bestätigung einer Tendenz, die bedenklich ist. Der FCB ist mitnichten
der Gradmesser, an dem sich der FCSG orientieren sollte. Es zählt auch nicht zu
sagen, dass man gegen die Basler im bisherigen Saisonverlauf gut ausgesehen
hätte. Dafür ist der 17-malige Schweizer Meister zu clever. Denn schlussendlich
reckt man nach 36 Ligaspielen den Pokal in die Höhe, da kann man auch noch ein
drittes Mal gegen den FC St. Gallen verlieren. Basels Kunst ist die Fähigkeit
auf den Punkt bereit zu sein. In einem Cup-Halbfinal liegt diese Niederlage
nicht drin – und darum gibt es sie nicht. Darum ruft man ab, was man zu leisten
imstande ist und siegt problemlos.
Der FC St. Gallen macht derweil aus nun fast
chronischen Startschwierigkeiten in der Rückrunde eine Krise. Dafür ist nicht
die gestrige Niederlage verantwortlich, wenn auch die Art und Weise sein
Übriges tat. Niederlagen in Thun, Vaduz und Sion zeichnen sich da schon eher
verantwortlich. Insgesamt setzte es in diesen drei Auswärtsspielen zehn
Gegentore ab. Alle drei Gegner sind in Sachen Toren in der unteren
Tabellenhälfte anzutreffen und sind nicht für ausschweifende Torspektakel
bekannt. Vaduz stellt sogar den zweitschlechtesten Angriff der Liga und wird
nur vom FC Aarau unterboten, der eine fast schon beängstigend schwache
Torausbeute aufweist.
Ich wünschte mir, der Ausgleich gegen den GC
wäre Anfang März nicht gefallen. Rodriguez’ Elfmeter in der Nachspielzeit war
trügerisch, gaukelte dem Publikum vor, dass sich die Mannschaft wehrt. Ein
Ausgleichstreffer zum Schluss wird in Krisen gerne als Indikator dafür
verwendet, dass die Mannschaft noch lebt. Hier fälschlicherweise.
Das gestrige Spiel unterstützt die These, dass
Jeff Saibene die Mannschaft nur noch bedingt erreicht. Planlosigkeit zog sich
durch die gesamte Partie. Mario Mutsch stach zweifelhaft heraus, in dem er den Ball mehrfach nach vorne schlug. Nicht aber als gezielter Pass hinter die Basler Abwehr,
sondern halbhoch auf die Brust eines Mitspielers. Selbst Messi hätte hierbei
Probleme gehabt, das Spielgerät unter Kontrolle zu bringen. Und weg war der
Ball. Wie Mario Mutsch ein halbes Jahr lang die Position auf der Sechs
bekleidete, bleibt dem gestrigen Zuschauer ein Rätsel. Einleuchtend ist die
Erklärung, dass er über seinem eigentlichen Niveau spielte. Das geht dann, wenn
dich eine Mannschaft trägt. Eine Mannschaft mit einem Nater, Montandon. Oder
Besle, der Opfer seiner schwachen Kollegen auf der Innenverteidigerposition
ist. Denn Mario Mutschs Urteil trifft auch auf den steifen Daniele Russo zu.
Von Besle geführt und an einem guten Tag, von denen er im letzten Herbst einige
hatte, spielt er solid auf. Aber ruft er sein normales Leistungsvermögen ab,
besteht er nicht gegen einen FC Basel.
Man stellt sich die Frage, wie stark die St.
Galler wirklich sind. Soll man dem Gesicht trauen, das den FCB auswärts und zu
Hause mit einer geschlossenen Mannschaftsleistung schlug? Oder soll man dem
Gesicht trauen, das in der Rückrunde nur einen einzigen Sieg einfahren konnte?
Dann bin ich genervt von mir selbst. Scheiss
Kribbeln. Ich habe danach gelechzt, habe gehofft, obwohl ich es eigentlich
besser gewusst hätte. Die von mir prophezeite Freude am Fussball finde ich am
Morgen danach schon wieder. Ich lächle, als ich merke, dass nächste Woche
wieder Champions League ist. Und irgendwo, tief drin, schlummert es, dieses
Kribbeln. Ich hoffe, dass es sich bald wieder zeigt. Auch wenn es kein
grün-weisses Kribbeln ist. Fürs Erste. Denn sie werden wieder kommen, die
Enttäuschungen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen