Noch bevor der Hardcore-Stammtisch bei der ortsansässigen Beiz über die Personal-Rochaden beim SRF heissblütig diskutierte, trafen wir die wahre "Voice of Switzerland": Sascha Ruefer. Morgen kommentiert er den Leckerbissen Bayern-Real, um eineinhalb Monate später hoffentlich zur Assoziation für siegestrunkenen Schweizer Torjubel zu avancieren. Aber der Reihe nach. Zuerst das Gespräch mit Fussball,Schatz. Über das Maracanã, die Macht des Internets und die potenziellen Ziele der Nati am Zuckerhut.
„Toooooooooooor für
die Schweiz!“, schreit Ruefer ins Mikrofon. Er tut dies gleich 17 Mal. Manchmal
etwas dezenter, ein anderes Mal dafür umso euphorischer. Je nach dem.
Dann ist das Video,
das alle Tore der Schweizer Nationalmannschaft in der Qualifikation zur
Weltmeisterschaft in Brasilien zeigt, vorbei. Es ist die Vorbereitung auf ein
Interview mit Sascha Ruefer. Zugegeben: Es ist eine Vorbereitung, die Spass
macht. Eine Vorbereitung, die Emotionen weckt. Es mag kitschig klingen, dennoch
löst diese Stimme, dieser Torschrei, etwas in mir aus. Dieser romantisch
angehauchte Gefühlszustand mag dem Fan der “Nati“ nur allzu vertraut vorkommen.
Wer die Elf um Ottmar Hitzfeld verfolgt, wird zweifelsohne mit Ruefer
konfrontiert werden. Dieser kommentiert die Spiele nämlich seit Sommer 2008.
Ich notiere auf
meinem vor Interviews obligaten Brain Storming: Tolle Emotionen bei Toren.
Gefällt mir.
Ich warte im
Starbucks am Check-In 2. Der Flughafen Zürich passt ja ganz gut als
Austragungsort dieses Interviews. Ein Flughafen ist schliesslich das Tor zur
Welt. Das ist Sascha Ruefer auch. Zumindest, wenn man das Wort “Welt“ mit der
Sportart “Fussball“ ergänzt. Sascha Ruefer – das Tor zur Fussballwelt.
Spätestens, als ich den Grenchner nach dessen favorisierten Stadien frage,
läuft es mir kalt den Rücken runter. Die neue Arena von Juve sei toll, erzählt
Ruefer, um danach beinahe nüchtern anzufügen: „Vom Maracanã war ich
enttäuscht.“ Der 43-jährige tut zwar das Jonglieren mit derart ehrwürdigen
Namen als “Daily Business“ ab, wirkt aber im selben Atemzug keineswegs
abgehoben. Angesprochen auf die Affiche zwischen den beiden Rekordmeistern aus
England (Manchester United) und Deutschland (Bayern München), erstarrt auch
Ruefer in Ehrfurcht. „Wenn man sich dann auf die Partie vorbereitet und solche
Namen liest, merkt man schon, wie privilegiert man ist.“
Philosophischer
Natur ist dann die Antwort auf die Frage, ob man denn bei solchen Begegnungen
und der Aussicht auf die kommende WM am Zuckerhut noch Ziele habe. Ruefer: „Ich
frage mich einfach, wieso man immer nach mehr streben muss.“ Er lässt dies kurz
wirken, um dann nachzuschieben: „Es ist ja gerade der schöne Aspekt bei unserem
Beruf, dass sich jedes Spiel anders präsentiert.“ Er habe diese Paarung bereits
1999 kommentiert. Seither sei eigentlich nur eines gleich geblieben: Die Namen
der Mannschaften. „Die Protagonisten, ja sogar der Fussball selbst haben sich
verändert. Das macht es immer wieder auf’s Neue unglaublich spannend.“, erklärt
Sascha Ruefer. Man nimmt es ihm ab, wenn er danach – wie selbstverständlich –
anfügt, dass ein Aufeinandertreffen zwischen Aarau und Lausanne genauso über
seinen Reiz verfüge. „Die Ausgangslagen, die Spieler“, so Ruefer, „sind immer
wieder anders.“
Diese
Unberechenbarkeit verunmöglicht bis zu einem gewissen Grad die minutiöse
Planung einer Partie. Dennoch ist die Vorbereitung darauf unabdingbar. „Ein
Wanderer kann abstürzen, wenn er sich nicht über die aktuelle Lage des Wetters
informiert. So auch bei uns.“, vergleicht der SRF-Kommentator eine Wanderung
mit den 90 Minuten auf der Pressetribüne. Er führt aus: „Jeder Kommentator hat
sein “Rucksäckli“, welches er vor einem Match packt. Dieser ist möglichst prall
gefüllt mit Informationen. Wie soll man sich denn das vorstellen? Sascha Ruefer
sitzt am Sonntagabend am Computer und zieht sich die letzten zehn Partien der
Red Devils rein? „Niemand erwartet, dass ich die letzten zehn Spiele der
jeweiligen Teams gesehen habe.“, gibt Ruefer zu verstehen. Es gebe aber
Programme, auf welchen man sich verschiedenste Zusammenfassungen zu Gemüte
führen kann. Nichtsdestotrotz bringt die Thematik “Erwartungshaltung“ gewissen
Zündstoff mit sich. Als ich nach der Entwicklung in Sachen Berichterstattung
frage, wird Ruefer konkret: „Es hat sich Grundlegendes getan.“ Stichwort
Internet. Der Vater eines nicht einmal einjährigen Junges versteht es folglich
zu argumentieren. „Noch vor 15 Jahren war die aktuellste Informationsquelle die
Zeitung. Diese wurde um 22 Uhr des vorherigen Tages in den Druck gegeben.“ Dann
die Gegenüberstellung mit der heutigen Zeit. „Heute herrscht in den sozialen
Medien ein reger Austausch und über die verschiedensten Websites lassen sich
problemlos die neusten Meldungen vernehmen.“ Ruefer weiter: „Man weiss sogar,
was Ronaldo vor zehn Minuten gemacht hat.“ Das Ganze gipfelt in einer merklich
erhöhten Erwartungshaltung dem Kommentator gegenüber. „Man muss heute nicht
mehr erklären, wo Zidane überall gespielt hat oder dass Ashley Cole vor vier
Wochen krank war. Die wissen das.“ Daraus resultiert eine neue Form des
Kommentierens. „Heute will der Zuschauer mehr Antworten auf die Frage “Warum“,
als das ledigliche Beschreiben, was denn überhaupt geschehen ist.“ Grundsätzlich
müsse er den Leuten vor dem Bildschirm eine Hilfestellung bieten, sich eine
Meinung zu bilden. Es versteht sich dabei aber von selbst, dass dadurch auch
der Schwierigkeitsgrad bei Ruefers Arbeit nach oben korrigiert worden ist.
Dieser schleichende
Prozess der erhöhten Leistungserwartung bringt den Kommentatoren-Beruf unter
Zugzwang. Zum Einen gestaltet sich das durch das Publikum neu definierte
Anforderungsprofil als Hürde, zum anderen durchläuft auch der Fussball immer
wieder einen Wandel. Während vor zehn Jahren Begriffe wie die “falsche Neun“ noch
in den Kinderschuhen steckte und Hollands altehrwürdiges 4-3-3 noch als
hochmodern durchging, basteln heute Fussball-Hipster wie Guardiola an Formationen
mit einer doppelten Acht, welche von einer beinahe als Libero zu
interpretierenden Sechs unterstützt wird. Es dürfe durchaus kritisch
hinterfragt werden, merkt Ruefer an, dass grundsätzlich kein Diplom von Nöten
ist, um fussballerische Fachkompetenz auszuweisen. Es verfügt über eine
sympathische Färbung, wenn Ruefer erzählt, dass er sich aus freien Stücken
weiterbildet. Wie das konkret aussähe, wollen wir wissen. „Ich habe
Trainerkurse besucht oder auch schon bei Super-League-Trainer gefragt, was es
mit dem Gegenpressing auf sich hat oder wie sich ein 3-5-2 äussert.“ Nicht,
dass ich die Arbeit eines Kommentators grundsätzlich in Frage gestellt hätte,
aber es überraschte mich, wie professionell Sascha Ruefer seinen Beruf
interpretiert. Ich lausche interessiert, als er beginnt seinen Aufwand mit
Beispielen zu belegen. „Heute Morgen habe ich mir zuallererst um acht Uhr das
Aufeinandertreffen zwischen dem FC Luzern und dem FC Basel noch einmal in
voller Länge angesehen. Man muss sich dabei vor Augen führen, dass diese Partie
von Sascha Ruefer kommentiert wurde. Daraus zu schliessen ist, dass er gewissenhafte
Selbstkritik übt – und dabei seinen gewichtigsten Kritiker, den Fan, nicht
ausser Acht lässt. So stöbert er sich in einem ersten Schritt durch Facebook,
um sich ein Bild über die Meinung der Fans betreffend seiner Kommentator-Performance
zu machen. Der Tenor der Zuschauer kristallisierte sich derweil schnell heraus:
„Ich sei zu negativ hinsichtlich der Luzerner Mannschaft gewesen.“ Unter diesem
Gesichtspunkt verfolgt Ruefer die Partie und stellt fest: „Nach 77 Spielminuten
begann ich den FCL vehement zu kritisieren. Ich prangerte etwa an, dass es an
Typen fehle, die vorangehen.“ Er schiebt nach: „Ganze vier Mal wiederholte ich
meine Aussage, wenn auch in anderer Wortwahl. Dennoch haben repetitive
Anmerkungen – vor allem gegen Ende einer Partie – einen stärkeren Einfluss auf
die Meinung des Zuschauers.“ Er notiere fleissig mit, um danach “für die
nächste Begegnung etwas mitzunehmen“. Es
ist die unmissverständliche Antwort auf die Frage, ob man das Kommentieren denn
auch trainieren könne. Ruefer hält viel von Feedback. Vielleicht gerade
deshalb, weil es ihm fehlt. „Aufgrund der Schnelllebigkeit des Fussballs, des
Drückens immer wieder neuer Meldungen, neuer Spiele, kommt die “Feedbackkultur“
zu kurz.“ Ruefer ermuntert mich dann, ihm eine Kritik zu verfassen, wie er denn
in Manchester kommentiert habe. Natürlich nicke ich, halte es aber für eine
Alibi-Forderung.
Als spannend
erweisen sich Ruefers Aussagen, was Vorschriften seitens des SRF betreffen.
Diese sind relativ locker und beinhalten einen grösseren Spielraum an
Interpretation. „Was schön ist.“, meint Ruefer dazu. Dann wirft er mit Wörtern
wie “angemessen“ oder “passend“ um sich, die aber keineswegs als Floskeln zu
werten sind. Es geht dabei einzig um einen vernünftigen Umgang mit gewissen
Situationen. „Wenn die Schweiz in der ersten Hälfte im ersten Quali-Spiel gegen
Estland die Führung erzielt, sollte man anders jubeln, als wenn man Spanien an
der WM schlägt.“ Was einleuchtet, unterstreicht Ruefer Sekunden später: „Als
43-jähriger Mann kann ich nicht herumtoben und übertrieben jubeln.“ Ruefer
bedient sich aber weiter der Fragestellung, ob es denn nun Weisungen vom SRF
gebe. Die Frage sei spannend, so Ruefer. Klar, schliesslich argumentiere ich
hier mit dem Beispiel des Brennpunkts “Pyro“. Ich horche in der dezenten
Hoffnung, dass Ruefer hier keine passende Antwort in petto hat, auf. Naja, der
Mann ist beruflich verpflichtet zum Reden. Und dies kann kann er – inhaltlich
einwandfrei. „Ich habe mich nie zur Pyro-Debatte geäussert, weil ich mich noch
nicht in die Materie eingearbeitet habe.“, erklärt Ruefer. Mittlerweile sei er
aber in Kurven gestanden, habe mit Hooligans gequatscht und sich so eine
Meinung gebildet. Es sind Aussagen, die erstaunen, kommen Kommentatoren doch
häufig beim Stammtisch-Fachsimpeln nicht über einen eher zweifelhaften Ruf
hinaus.
Der Verdacht, an der
WM auf Ruefers Meinung zu bauen, verhärtet sich im Gespräch mehr und mehr. Bis
er unwiderstehlich wird. „Was ist an der WM möglich für die Schweiz?“, frage
ich, obwohl andere Punkte auf meinem Brain Storming mehr Priorität haben. Die
Nati-Stimme verweist auf die Weltrangliste, auf welcher die Schweiz auf dem
starken achten Platz vertreten ist. Dieser alleine veranlasse eigentlich schon
zur Zielsetzung “Halbfinale“, gibt Ruefer zu Bedenken. Man sei aber schon froh,
wenn man das Achtelfinale erreiche. „Hauptsache man ist dabei.“, gibt Ruefer
als typisch Schweizerische Erwartungshaltung aus. Seine definiert sich anders
und kreist sich um die Runde der letzten acht. Nun ja. Sascha Ruefer wäre nicht
Sascha Ruefer, wenn er seiner “Nati-Zielsetzung“ nicht gleich auch eine
Begründung nachschicken würde. Er analysiert die drei Gruppengegner
messerscharf, um sich danach bereits ins Achtelfinale zu denken, wo “entweder
Argentinien oder Nigeria“ warten werden.
Ruefer erzählt von
Hitzfeld, dessen Einfluss “ganz, ganz gross, riesig gross“ sei.
Sekundenbruchteile später sind wir bei Petkovic, den er zwar nicht kritisiert,
aber zumindest mit Hitzfelds Stärken vergleicht, wo er machtlos scheint. „Wenn
Shaqiri angeschlagen ist und pausieren sollte, kann der Hitzfeld nach München
anrufen und seine Kontakte spielen lassen. Der ist unglaublich vernetzt.“ Ob
Petkovic fähig ist bei solchen Nuancen an den Schrauben zu drehen, darf
zweifelsohne hinterfragt werden.
Man merkt, wie nah
Ruefer bei der Nationalmannschaft ist. „Sind Sie Fan, wenn die Schweiz ein Tor
erzielt?“, frage ich. Er holt nun aus: „Als ich begann die Schweizer
Nationalmannschaft zu kommentieren, wurde mir klar, dass das etwas ganz anderes
ist, als die anderen Spiele.“ Wenn er Aarau gegen St. Gallen kommentiere, seien
eventuell Anhänger von Aarau oder Anhänger von St. Gallen unzufrieden. Bei
Spielen wie Manchester United gegen Bayern München sage man vielleicht, der
rede zu viel. Laut Ruefer kommt der Nationalmannschaft eine ganz andere Rolle
zuteil. „Es mischt sich ein gewisser Nationalismus mit ein.“ Seine Position ist
derweil klar: „Wenn die Schweiz spielt, bin ich in erster Linie Fan dieser
Mannschaft. Ich juble, wenn es ein Tor gibt. Ich verzweifle, wenn eine Chance
vergeben wurde. “ Ruefer vermeidet es aber ein “Fan-TV“ zu sein. Seine Aufgabe
sei es, dem Zuschauer “eine möglichst objektive Meinung“ zu bieten. Er achtet
dabei darauf, Wortkombinationen wie “wir hoffen“ zu vermeiden.
Zu den Spielern selbst
hat er eine Beziehung. „Allerdings auf beruflicher Ebene.“ Distanz sei wichtig.
Immerhin ist Ruefer nicht nur Fan der Schweizer Nationalmannschaft.
Dementsprechend gehört es auch zu seinen Aufgaben die Auftritte der
Protagonisten auf dem Feld in den 90 Minuten zu beurteilen. „Fühlen sich Spieler
dann angegriffen?“, will ich wissen. Ruefer: „Es kommt schon vor, dass einzelne
Spieler dann nicht mehr grüssen oder einfach wegschauen.“ Die Antwort erstaunt
insofern, weil es den Anschein macht, dass einzelne Spieler die Grenze der
angesprochenen beruflichen Ebene nicht ziehen können. Ruefer relativiert aber:
„Fussballer sind keine Mimosen. Sowieso: Es unterscheidet sich von Spieler zu
Spieler. Je nach Charakter.“ Ruefer macht derweil Gründe dafür im Umfeld der
Spieler aus: „Das Umfeld ist auch entscheidend. Die Spieler hören ja nicht, was
ich kommentiere. Aber über das Umfeld erfahren sie es dann mitunter sehr
schnell.“ Als Paradebeispiel für das Trennen von privaten und beruflichen
Angelegenheiten führt Ruefer seine Freundschaft zu Luzern-Keeper David Zibung
an: „Er ist quasi mein Nachbar. Wir grillieren und
trinken Bier zusammen.“ Wenn er aber eine Partie des FCL kommentiert und nicht
drum herum kommt, Zibung zu kritisieren, rufe der nicht gleich an und beschwere
sich. „Es ist wie in einer Schachtel versteckt.“, fasst Ruefer zusammen.
In Luzern ist
Ruefer, der bereits im zarten Alten von zwölf Jahren fürs regionale Blatt
Sportberichte schrieb, mittlerweile wohnhaft. Als ich Ruefer frage, ob er denn
seinen Job zu Hause ruhen lassen könne, verrät er: „Ich wohne bewusst in Luzern
– auch wenn ich in Zürich arbeite.“ Oder eben, weil er gerade in Zürich
arbeitet. Denn: „Ich habe von Zürich eine Autostunde bis nach Hause. Da kann
ich jeweils abschalten.“
Ruefer blickt auf
die Uhr. Das Flugzeug wartet. Dann ist das Interview vorbei und wir geben uns
die Hand. Er bekräftigt noch einmal seinen Wunsch eines Feedbacks.
Tatsächlich mache
ich mich an dieses Feedback und verfolge die Partie von Manchester United gegen
die Münchner Bayern mit Block und Kugelschreiber ausgestattet. Ich notiere mir
bei Minute 58: Tolle Emotionen beim Tor. Gefällt mir.
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