Freitag, 27. Dezember 2013

Mein Boxing Day - ein Erfahrungsbericht

So, der Boxing Day ist gespielt. Und weil heute kein Fussball auf dem Programm steht, mich der Spengler Cup nicht reizt und die schlechten Weihnachtsgeschenke schon heute Morgen klang heimlich zurückgebracht wurden, schreibe ich einfach über den Boxing Day, so dass ich auch heute die nötige Dosis Fussball abbekomme. Ein Erfahrungsbericht über den Fussball-Feiertag in England. Miterlebt, ach was, mitgelitten, mitgeärgert und mitgejubelt im beschaulichen St. Gallen.


Meine Freundin weilt also in den Ferien. Schade. Nein wirklich, ich vermisse sie ja. Aber? Aber heute ist Boxing Day. Allerdings hätte ich andere Verpflichtungen gehabt. Heute findet das obligate Familienfest statt. Aber? Aber heute ist Boxing Day. Trotzdem: Mir gefällt der Gedanke von kurz vor zwei Uhr bis knapp nach acht Uhr englischen Fussball zu verfolgen. Nennen Sie mich verrückt. Aber? Aber heute ist Boxing Day.

Es der 25. Dezember, abends, wahrscheinlich etwa halb zwölf. Verträumt blicke ich aus dem Fenster und lächle flüchtig. Der Fensterladen ist heruntergelassen, klar. Dennoch bin ich versucht diesem emotionalen Augenblick mit meiner zufriedenen Miene Genugtuung zu verschaffen. Ich schliesse das Buch, streiche ein letztes Mal mit der rechten Hand sorgsam darüber und lege es schlussendlich weg. Gerade habe ich "The Secret Footballer" gelesen. Ein Lektüre über einen ehemaligen Premier-League-Spieler, der, ohne seinen Namen zu nennen, auspackt. Er scheint zu wissen, wie das Geschäft wirklich ist. Obwohl dies eine sehr subjektive Meinung ist. Für mich ist es vor allem eines: Der letzte Teil meiner Vorbereitung für den Boxing Day. Kurz packt es mich dann aber noch einmal, das runde Leder. Auf Youtube ziehe ich mir deshalb Wayne Rooney's 149 bisherige Premier-League-Tore rein. Grosse Worte wie "kraftvoll", "elegant" oder schlicht "perfekt" gehen mir durch den Kopf, als ich diese Symphonie an epischen Momenten ansehe. Für einen Augenblick scheint die Welt still zu stehen. Gezeigt wird Rooney's Seitfallzieher zum 2:1-Derbysieg über den Stadtrivalen City. Dann gehe ich zu Bett. Nach einigen Minuten merke ich, dass ich nicht schlafen kann. Nach unzähligem hin und her wälzen erhebe ich mich genervt und greife nach den Kopfhörern. "Football's Coming Home" schallt es Sekunden später aus diesen. Es vergehen keine zwei Minuten bis ich friedlich einschlafe.

Es ist zwölf Uhr, als mich mein Wecker mit den wohligen Klängen von "Glory Glory Man United" aus dem Schlaf küsst. Noch immer zum Lied summend begebe ich mich in die Küche, wo ich Fish and Chips zubereite. Zubereiten hier stellvertretend für an der Tankstelle kaufen, ins Kühlfachlegen, aus dem Kühlfach nehmen, in die Mikrowelle und dann essen. Nachdem ich den letzten Bissen genüsslich verschlinge mache ich mich auf den in stundenlanger Arbeit minuziös ausgearbeiteten Tagesplan noch einmal zu checken.

13.15 Uhr: Aufstellung von Manchester United ansehen
13.30 Uhr: Tauglichen Livestream finden
13.45 Uhr: Anpfiff Hull City vs Manchester United
13.49 Uhr: 1:0 für Manchester United
15.45 Uhr: Zweite Portion Fish and Chips
16.00 Uhr: Anpfiff West Ham United vs Arsenal London
18.30 Uhr: Anpfiff Manchester City vs FC Liverpool

Ich schliesse die Excel-Tabelle. Mittlerweile ist es kurz nach 13 Uhr. Es gilt den ersten Punkt in der Liste in Angriff zu nehmen. Klar fehlen Spieler wie van Persie, Nani oder Vidic, denke ich mir wohl sichtlich geknickt, bevor instinktiv die Faust balle. Hauptsache Rooney. Dann beginnt der schwierigste Teil des Ganzen: Einen tauglichen Livestream finden. Nicht nur die Tatsache, dass dieser Vorgang teils mehrere Minuten in Anspruch nimmt, sondern auch die dann oft haarsträubende Qualität des Streams, sind als stetiger Begleiter im Hinterkopf, wenn man sich ängstlich durch all die grob illegalen Websites kämpft. Heute scheine ich aber schnell einen funktionierenden gefunden zu haben. Mit leiser Vorfreude kuschle ich mich vorsichtig in den Sessel, so als würde eine zu schnelle Bewegung den Stream stocken lassen. Dieser macht, ausgenommen vereinzelter Aussetzer in der zweiten Halbzeit, einen hervorragenden Job. Es ist 13.49 Uhr als United nach meinem Tagesplan in Führung gehen sollte. Passend zum Saisonverlauf meiner Red Devils sind es aber die Hausherren aus Hull City, die in der 4. Minute das 1:0 erzielen. Ich ärgere mich, merke dann aber schnell, dass noch genügend Zeit ist die Kiste zu drehen. Als die 'Tigers' nach einer knappen Viertelstunde gar zum 2:0 treffen bin ich angewidert. Dann Freistoss von aussen für United. Rooney steht da. Schon mal gut. Der befördert den Ball ins Zentrum, wo Smalling auf 2:1 verkürzt. Kurzes Faustballen und schon geht's weiter. So ist das in England. Keine Zeit für Verschnaufspausen. Nach einer gefährlichen Situation kann es gut und gerne mehrere Minuten dauern, bis man diese per Wiederholung zu Gesicht bekommt. Dies schlicht, weil der Ball einfach so lange im Spiel bleibt. Wegen eines mickrigen Trikotzupfers wird dort gelacht. Herrlich ehrlich englischer Fussball. In der Bundesliga wird derweil die gelbe Karte gefordert. Plötzlich werden meine Gedanken abrupt gestoppt. "Roooooooooney!" What a brilliant goal from Wayne Rooney!", jubelt der Kommentator. Dieser wird übrigens von ManU-Legende Gary Neville unterstützt. Dieser ist ruhig und sachlich - zumindest lassen das die vereinzelten Worte, die ich unter diesem brutal verschlucktem britischen Englisch verstehe, vermuten. Nun wird aber gejubelt. Ich balle die Faust, während der Kommentator davon spricht, dass dies Rooney's 150. Premier-League-Tor für den bulligen Engländer ist. Und was für eines. Wie er den Ball aus etwa 20 Meter per Dropkick ins Dreieck bölzte, hatte was inspirierendes an sich. Nach 90 Minuten stand es 3:2 für United. Ich war zufrieden.

In diesen Tagen ist man als United-Fan mit wenig zufrieden. So war ich dermassen angetan vom Sieg über Hull, dass ich prompt bei FIFA 14 mit Manchester United den Karrieremodus startete. Während ich mich durch die Niederungen der Saisonvorbereitung kämpfte, verpasste ich leider die Aufholjagd der Gunners, die West Ham nach Rückstand noch mit 3:1 schlugen. Dauer-Frohnatur Prinz LuLu Lukas Poldi Podolski feierte dabei ein furioses Comeback. Den Führungstreffer bereitete er vor, um später schliesslich noch einmal selbst zu vollenden.

Schnell ackerte ich mich noch durch Youtube, um alle Premier-League-Tore in manchmal besserer und manchmal schlechterer Qualität anzusehen. Man will ja schliesslich mitreden können. In meiner letzten Etappe des diesjährigen Boxing Days ging es zu meinem Bruder. Der verfügte über Sky. Heisst: Kein minutenlanges Stream-Suchen. Kein Stocken. Premier League in Sahne-Qualität. Danke dafür, Bruder!

Nicht nur die Ausgangslage vor dem Spitzenspiel zwischen City und Liverpool garantierte einen angenehmen Fussball-Abend. Namen wie Silva oder Suarez, der in diesem Monat bereits unglaubliche zehn Premier-League-Tore erzielt hatte, lassen einem das Wasser im Munde zusammenlaufen. Das Spiel verlief wie erhofft: Viel Kampf, wenig Unterbrüche, Tempo, Kick and Rush und einige individuelle fussballerische Highlights. Das erhoffte Remis blieb aus. Den Grätschen von Martin Skrtel konnte ich mich aber dennoch erfreuen. Gerne würde ich dem Liverpooler Innenverteidiger aber nicht begegnen. Kantiges Gesicht, 191 cm gross, kallrasiert und tätowiert. Ein Bild von einem furchterregendem Abwehrspieler. Dennoch: Grosses Kino.

Kurz vor neun Uhr machte ich mich auf den Heimweg. Ich schrieb meiner Freundin. Klar, ich vermisse sie. Aber sie kommt erst am Samstag nach Hause. Und das Familienfest? Das ist erst in einem Jahr wieder. Dann ich ging zu meinem Freund. Wir spielten Fussball-Manager bis um halb drei am Morgen. Nennen Sie mich verrückt. Aber? Aber das ist Fussball.

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