Vor einigen Wochen trafen wir Thomas Weber und Reto Lemmenmeier im Vorfeld des Cup-Achtelfinals gegen Aarau zum Interview. Die beiden sind die Gesichter der vor knapp zwei Jahren gegründeten Fanarbeit St. Gallen.
"Halbe Stunde. Maximal", sagte ich den beiden, um das Zeitfenster dieses Interviews zu bestimmen. Nun ja, wir sprachen knapp 50 Minuten. An diesem bitterkalten Herbsttag setzten wir uns in die Piazza D'Arena und deckten uns mit warmen Getränken ein. Spielbeginn gegen den Aufsteiger war erst in vier Stunden. So blieb Zeit über Dinge wie ihre tägliche oder eben nicht tägliche Arbeit, Pyrotechnik, das Bild von Fans in den Medien und die Kommerzialisierung im Fussball zu sprechen. Ein tolles Gespräch mit zwei engagierten Fanarbeitern.
"Halbe Stunde. Maximal", sagte ich den beiden, um das Zeitfenster dieses Interviews zu bestimmen. Nun ja, wir sprachen knapp 50 Minuten. An diesem bitterkalten Herbsttag setzten wir uns in die Piazza D'Arena und deckten uns mit warmen Getränken ein. Spielbeginn gegen den Aufsteiger war erst in vier Stunden. So blieb Zeit über Dinge wie ihre tägliche oder eben nicht tägliche Arbeit, Pyrotechnik, das Bild von Fans in den Medien und die Kommerzialisierung im Fussball zu sprechen. Ein tolles Gespräch mit zwei engagierten Fanarbeitern.
Fängt ihr immer so früh an vor den Heimspielen oder habe ich euch so
früh aus dem Bett geholt?
Reto: So etwa
(lacht).
Was gibt es denn vor
den Heimspielen zu tun?
Thomas: In der Regel
haben wir rund zwei Stunden vor Spielbeginn eine Plattform-Sitzung mit dem
Vertreter des Dachverbandes und einem Vertreter des FC St. Gallen.
Was wird dort
besprochen?
Thomas: Es ist ein
letzter Informationsaustausch. Wie viele Gästefans werden kommen? Wann werden
sie kommen? Haben die St. Galler etwas geplant? Gibt es eine Choreo? Was auch
immer gerade ansteht. Wir lassen jeweils auch die vergangen Spieltage Revue
passieren.
Ist die Seite des
Stadions auf euch angewiesen? Sind die froh, wenn ihr Informationen liefert?
Thomas: So will ich
es nicht sagen. Wir sind alle aufeinander angewiesen. Es ist einfach eine
Möglichkeit noch einmal ein Update zu liefern.
Und wenn natürlich grössere Schwierigkeiten erwartet werden, findet der
Austausch schon früher statt. Es gibt im Vorfeld einer Partie sowieso
Absprachen zwischen den Vereinen. Dort werden die wichtigsten Fragen bereits
geklärt. Also heute: Wie viele Aarauer werden kommen? Wir schauen in diesen
Sitzungen auch etwas in die Zukunft. Wie laufen die nächsten Spiele ab? Da
werden Zeiten für den Extra-Zug besprochen, über das Ticketing wird gesprochen.
Seid ihr da auch
zuständig dafür?
Thomas: Nicht
zuständig. Das mit dem Extra-Zug läuft, wie das Ticketing, über den
Fan-Verantwortlichen des FC St. Gallen. Dieser ist bei den Plattform-Sitzungen
auch dabei. Wir sind eher als Unterstützung da, falls es irgendwo ein Problem
geben sollte. Diese Sitzung kommt da eigentlich jeweils sehr gelegen. Es gehen
sowieso alle Beteiligten an das Spiel. So ist es eine gute Gelegenheit sich
auszutauschen.
Steht ihr jeweils in
der Kurve beim Spiel?
Reto: Unter anderem.
Wir haben einen Zutritts-Badge, mit welchem wir uns im gesamten Stadion bewegen
können. Meistens sind wir schon in der Kurve. Nicht immer voll im Zentrum,
sondern oft auch auf der Seite, wo die freie Sitzplatzwahl ist. Was wir aber
auch machen: Wenn wir wissen, dass eine Choreographie stattfindet, gehen wir
auf die Haupttribüne, um uns diese anzusehen.
Was auch möglich ist: Wenn es irgendwelche Probleme gibt mit den
Auswärtsfans und wir uns deshalb mit diesen Fanarbeiter vernetzen müssen, dann
gehen wir auch in diesen Teil des Stadions. Je nach dem, wo wir gebraucht oder
gerufen werden.
Wie sieht das mit
der Arbeit unter der Woche aus? Thomas, du arbeitest ja 60 Prozent und Reto 50
Prozent. Sitzt man am Montagmorgen da und erledigt Büro-Arbeiten oder werden
Fussball-Zusammenfassungen geschaut? Wie läuft das ab?
Reto: Aufstehen und
ins Büro (lacht). Nein: Montagmorgen ist in der Regel frei. Es ist so: Über
jeden Spieltag schreiben wir einen Bericht. Einen bekommt der Dachverband Fanarbeit
Schweiz und einer wird für das interne Archiv geschrieben. Es wird immer
abgewechselt. Entweder habe ich Verantwortung für einen Spieltag oder Thomas.
Dieses Mal bin, glaube ich zumindest, ich dran (lacht). Also werde ich Morgen
wohl diese Berichte schreiben. Das mache ich dann aber zu Hause. Vielleicht
mache ich es morgens um neun, vielleicht erst abends um zehn. Es muss einfach
erledigt werden.
Thomas: Die ganze
Arbeitseinteilung ist relativ flexibel und nicht immer an Orte gebunden.
Ist doch schön?
Thomas: Ja. Alles
andere wäre aber auch fast nicht möglich. Wir haben keine fixen 8-Stunden-Tage.
Ihr müsst also
einfach immer eure Arbeiten erledigt haben?
Thomas: Genau. Wir
sind grundsätzlich über das Natel erreichbar. Diese Erreichbarkeit ist
gewährleistet. Es heisst aber nicht, dass wir in einer Woche ein gewisses
Pensum abarbeiten müssen. Wir setzen unsere Stunden also mehr nach Aufwand ein.
Fixe Ereignisse sind einfach Sitzungen oder Besprechungen mit Fans, der
Stadtpolizei oder der SBB. Diese sind aber auch immer wieder an anderen Tagen.
Mittlerweile hat es sich aber so eingependelt, dass wir diese Sitzungen vom
zeitlichen Faktor her relativ effizient gestalten können. Heisst: Vielleicht
mehrere an einem Tag. Und dann wegen jedem Meeting hin und her zu fahren ist
nicht optimal. So haben wir dann einfach Tage, an denen wir vielleicht zehn
Stunden arbeiten, was ja dann ein Arbeitspensum von etwa zwei Tagen ausmacht. Dazu
haben wir normalerweise jeweils am Donnerstagabend Präsenzzeit im Fanlokal.
Sieben bis neun Uhr,
oder?
Thomas: Richtig. Das
ist auch die Zeit, wo das Lokal geöffnet hat. Es macht Sinn, wenn wir stets an
diesem Donnerstag um diese Zeit zur Verfügung da sind.
Nehmen die Fans
diese Möglichkeit mit euch zu sprechen wahr?
Thomas: Ja. Es ist
saisonalen Schwankungen unterworfen, aber grundsätzlich: Ja. Es ist selten der
Fall gewesen, dass ich umsonst dort gewesen bin. Aber das kann man ja sowieso
nicht so sagen. Es ist Teils unseres Jobs präsent zu sein. Natürlich kommt es
vor, dass nicht immer überragend tiefgründige Gespräche geführt werden. Wir
sind aber da und die Vernetzung findet statt. Nur schon, wenn ich durch das
Lokal laufe und die Leute mit einem “Hallo“ begrüsse.
Also die Kontakte
pflegen?
Thomas: Genau. Diese
Donnerstage sind fix. Wegen der Europa-League-Teilnahme sind wir aber etwas in
Überzeit geraten. Also sind wir an diesen Abenden zurzeit nicht immer
vertreten, weil wir halt irgendwo Stunden einsparen müssen. Scheidet der FC St.
Gallen aus, werden wir aber wieder regelmässig da sein.
Hat neben eurer
Tätigkeit mit den Fans auch der Fussball als Sport Platz? Sind ihr da auch am
mitdenken und hinterfragen, wenn Saibene mal auf zwei Spitzen umstellt oder gar
das System wechseln will?
Reto: Das ist eher
privates Interesse, aber für unsere Arbeit nicht relevant, wenn Saibene jetzt
mal mit zwei Stürmer spielt (lacht). Aber sicher sind wir interessiert. Wir
haben beide Fussball gespielt, sind beide grosse Fussballfans.
Thomas: Es ist ein
Türöffner, um mit den Fans ins Gespräch zu kommen. Es wirkt glaubwürdiger und
authentischer, wenn der Fan merkt, dass du Ahnung von diesem Sport hast. Du
passt so eher in dieses Gefüge hinein. Ein angefressener Hockeyaner kommt
vielleicht nicht auf die gleiche Augenhöhe, wie wenn du begeistert bist vom
Fussball. Das ist uns auch wichtig. Ich meine: Schliesslich sind wir in ihren
Räumen, also dem Fanlokal oder dem Extra-Zug unterwegs.
Wenn ihr an ein
Auswärtsspiel geht, wird das auch als Arbeitszeit berechnet?
Thomas: Ja, auf
jeden Fall. Grundsätzlich ist alles Arbeitszeit, was wir im Zusammenhang mit
unserer Arbeit machen. Also wenn wir am Mittwoch Champions League schauen, dann
natürlich nicht (lacht). Wir gehen immer mit dem Extra-Zug mit. Es ist also
Arbeitszeit, sobald wird am Bahnhof St. Gallen stehen.
Euer Projekt gibt es
seit zwei Jahren und hat es in dieser Form in St. Gallen noch nicht gegeben.
Habt ihr euch da etwas aus Deutschland abgeschaut, wo es seit einiger Zeit
Pflicht ist oder wurdet ihr da ins kalte Wasser geworfen?
Thomas: Der Sprung
ins kalte Wasser war es schon. Ich habe am 1.1.2012 angefangen. Vorher gab es
eine zweijährige Phase, wo man sich Gedanken gemacht und Pläne geschmiedet hat.
Da hat man sich schon umgesehen, was es so gibt. Vor allem, was es in der
Schweiz gibt. Da hat man sich mit der Fanarbeit Luzern vernetzt, da sie von der
Grösse und Haltung ähnlich ist, wie St. Gallen. Wir haben dann angefangen mit
dem Auftrag diesen neuenRaum mit unserer Arbeit zu füllen.
Was waren denn die
ersten Schritte? Wahrscheinlich musstet ihr etwas probieren.
Thomas: Probieren
war es nicht unbedingt. Wir hatten ja nicht 100 Chancen. Das wichtigste zu
Beginn waren die Kontakte. Wir haben dann anfangs eine Runde gemacht, wo wir zu
allen Beteiligten sind. Also zum Beispiel die Stadtpolizei oder die SBB.
Die waren alle offen
für euch?
Thomas: Sie haben
uns nicht abgelehnt. Unser Präsidium hat uns dort angemeldet und dann sind wir
vorbeigegangen und haben unser Projekt vorgestellt, gesagt, was wir vorhaben.
Das gleiche haben wir auch bei den Fans gemacht. Da hat es das Fanlokal noch
nicht gegeben. So sind wir an die Orte gegangen, wo sich die Fans aufhielten.
Auch die Auswärtsfahrten haben wir dafür genutzt.
Ist das gut
angekommen bei den Fans?
Thomas: Es hat immer
KritikerInnen gegeben. Die gibt auch heute noch. Die grosse Chance dieser
Fanarbeit St. Gallen war, finde ich, dass die Fans von Anfang an involviert
waren und das auch entwickelt haben. Noch bevor wir zu arbeiten begannen. Es
ist auch so, dass die Entscheide vom Vereinsvorstand abgesegnet werden müssen. Der Trägerverein ist sehr breit abgestützt. Es
kann also kein Alleingang von jemandem gemacht werden. Das dient auch als
Schutzmechanismus. So ist es nicht möglich, sich in irgendeine Richtung zu
entwickeln, die das Ziel der Fanarbeit verfehlt. Als Zwischenbilanz nach diesen
gut eineinhalb Jahren können wir sagen,
dass wir einen guten Einstieg geschafft haben. Wir haben vieles richtig gemacht
in dieser Kennenlernphase. Auch, dass wir uns den Kritikern stellen und
versuchen daraus zu lernen.
Dass alle zufrieden
sind, wird es aber nie geben.
Thomas: Da ist wahrscheinlich
so. Aber das bringt auch schon die Welt des Fussballs mit sich.
Ihr seid Vermittler
zwischen Fans, Polizei, SBB oder dem Verein. Kann man da seine eigene Meinung
sagen oder muss man sich diplomatisch verhalten? Stichwort Pyro: Wenn ihr Pyros
dumm findet, sagt ihr das dann den Fans?
Thomas: Diplomatisch
müssen wir immer sein. Wir müssen aber auch eine eigene Meinung haben. Der
Verein für sozioprofessionelle Fanarbeit FC St. Gallen, wie wir heissen, hat
nur schon durch den Namen natürlich eine gewisse Nähe zum FC St. Gallen. Wir
sind aber eigenständig. Sofern ist es das A und das O, dass wir auch
eigenständig bleiben, sonst werden wir unglaubwürdig. Wenn du von der Stadt
angestellt bist und du widersprichst einer Stadtpolizei, kann das zu massiven
internen Spannungen führen.
Weil sie Geldgeber
sind?
Thomas: Vielmehr,
weil man dann Vertreter der gleichen Partei wäre, mit gemeinsamen Interessen
und Haltungen.
Wie steht ihr zum
Thema Pyrotechnik?
Thomas: Da kannst du
das Gesetzbuch hervor nehmen (lacht). Es ist so: Pyrotechnik ist verboten.
Pyrotechnik wird mit Stadionverbot sanktioniert. An dieser Grundlage
orientieren wir uns.Die Chance, dass sich da was ändert, ist gering. Nur schon
die Chance auf einen Dialog in dieser Thematik ist im Moment gering. Dies weil
diese Diskussion so verbissen geführt wird, – von allen Seiten – dass sich
daran kaum etwas ändern wird in nächster Zeit. Es gibt zwei Lager. Die einen
sind für Pyro, die anderen dagegen. Die Fronten sind so verhärtet, das es
momentan kein Verhandlungspotenzial gibt.
Ist man also so
gegensätzlicher Meinung, dass es eine Diskussion unnötig ist?
Thomas: Unnötig nicht.
Die Diskussion wäre sogar sehr nötig. Wenn man an einer nachhaltigen Lösung
arbeiten will, müssten beide Seiten bereit sein, sich anzunähern. Und so sieht
es zurzeit nicht aus. Da spielen alle eine Rolle, auch die Medien.
Ist ja ein grosses
Thema, das auch von den Medien gerne aufgegriffen wird.
Reto: Dieses Thema verkauft
sich auch gut.
Bleiben wir bei den
Medien. Habt ihr das Gefühl, dass Fussballfans ein Image haben, das ihnen nicht
gerecht wird?
Reto: Ich bin jetzt
seit August in der Fanarbeit tätig. Und ich habe schon das Gefühl, dass das
alles etwas überspitzt dargestellt wird. Ein Fussballfan ist ein Fussballfan.
Aber er bewegt sich auch auf anderen Plattformen, hat Familie und einen Job. Zum
Teil wird aber sehr eindimensional berichtet: „Hooligans haben wieder
randaliert“. Eine solche Berichterstattung wird der Realität nicht gerecht.
Es wird also nur auf
diese Ereignisse reduziert?
Reto: Genau. Der Boulevard
ist da so ein Beispiel. Dort wird vieles überspitzt formuliert und mit Stigmata
gearbeitet. Man darf Vorkommnisse nicht verharmlosen, doch etwas mehr
Objektivität wäre oft wünschenswert. Es gibt Schwierigkeiten rund um die
Fussballspiele, dennoch glaube ich, diese werden in den Medien häufig
übertrieben und einseitig wiedergegeben.
Thomas: Was mich am
meisten stört bei den Medien ist, wenn Artikel schlecht recherchiert sind. Solche
Berichte beruhen nicht selten auf Halbwahrheiten, wo der „Hooligan“ im
Vordergrund steht. Als Beispiel das Spiel in Zürich gegen GC, wo wir vor Ort
waren. Da werden Berichte aus einer Polizeimeldung abgeschrieben. Wir haben
danach mit vielen Augenzeugen gesprochen. Die haben uns gesagt: „Ich sehe in
diesem Artikel nicht das, was ich erlebt habe“. Zum Teil wird unzureichend oder
unausgewogen recherchiert. Dann werden noch ein paar Schlagwörter zugefügt und
schon wird ein Bild kreiert, das in den Köpfen der Öffentlichkeit lange präsent
bleibt.
Der
Durchschnittsbürger liest die 20 Minuten oder den Blick und glaubt das, was er
liest.
Reto: Die Zeitungen
wollen das ja auch. Wenn sie hören, dass es irgendwo geknallt hat, wollen sie
das in die Zeitung bringen – und möglichst dramatisch.
Weil es sich gut
verkauft.
Reto: Es passt
offenbar nicht immer ins Programm, das
Vorgehen von Behörden oder anderen Beteiligten zu hinterfragen. Man hält sehr
oft an dem Bild fest, das man begonnen hat zu zeichnen.
Thomas: Die
Berichterstattung ist sehr eindimensional. Sie konzentriert sich primär auf
negative Ereignisse. Über das Positive wird kaum berichtet. Im Zusammenhang mit
der Europa-League-Kampagne wurden die St. Galler Fans zwar auch mal lobend erwähnt. Aber so, wie die
Mechanismen heute funktionieren, wird bald auch wieder die nächste Kritik
kommen. Das Geschäft läuft so. Da geht es um Klicks auf der Homepage, die Geld
geben. Nehmen wir das Beispiel Blick. Der gehört dem Ringier-Verlag. Da gehört
auch Ticketcorner hinein. Oder Infront, welche die Super League vermarktet. Auch
an Teleclub ist Ringier beteiligt. Auch Spieler oder der Nationaltrainer stehen
bei ihnen unter Vertrag. Da geht es darum ein Produkt, also hier den Fussball,
zu schaffen, das sich gut verkaufen lässt. Und da können unberechenbare Fussballfans,
die johlend und oben ohne durch Städte ziehen stören.
Stört euch das oder
sagt ihr euch, dass sowieso nichts dran ändern kann?
Thomas: Da sind zwei
Ebenen drin. Die persönliche und die professionelle Ebene. Mittlerweile sind wir
mehr und mehr abgehärtet. Wir wissen, wie es wirklich ist, weil wir Woche für
Woche dabei sind. Dagegen anzukämpfen ist schwierig, da sind wir zu klein. Aber
wir wollen die Flinte nicht ins Korn werfen. In der Medienarbeit, die wir
machen, also eher regional, versuchen wir die andere Seite ins Spiel zu
bringen. Heisst: Wenn wir den Journalist kennen, der was Falsches geschrieben
hat, weisen wir ihn darauf hin, wie es wirklich war. Nach dem Spiel in Valencia
war da auch so eine Geschichte. Am Samstagmorgen wurde ein Bericht publiziert,
nach welchem St. Galler Fans Fackeln ins Stadion bringen wollten. Wir standen
zwei Stunden vor dem Stadion und haben de facto keine einzige Fackel gesehen.
Da wird die öffentliche Meinung verfälscht. Diesen Journalist haben wir dann
angerufen und gefragt, ob man da was machen kann.
Reto: In diesem
Zusammenhang sieht man auch, was ein Satz auslösen kann. Vor allem im Bezug auf
die Pyro-Debatte. Da wäre es auf einmal verständlich, wie die Polizei dort zu
Werke gegangen ist. Da sagen dann
schnell ein paar, wie richtig es ist, dass die FCSG-Fans mal eine kassiert
haben. Dabei waren die gar nicht dabei und wissen gar nicht, wie fies die
spanische Polizei vorgegangen ist. Da kann die öffentliche Wahrnehmung mit nur
einem Satz sehr beeinflusst werden.
Wie seid ihr
überhaupt zu eurem Beruf gekommen?
Thomas: Relativ
simpel. Über ein Stelleninserat wurde ich darauf aufmerksam gemacht. Ich habe
in Bern studiert und so auch die Fanarbeit etwas kennengelernt. Ich wusste,
dass es das gibt. Dann habe ich gegen Ende vom Studium eine Stelle gesucht und
wurde im Stelleninserat fündig. Sehr unspektakulär (lacht).
Ich habe gehört, die
Fanarbeit ist jetzt in den obersten beiden Schweizer Spielklassen Pflicht.
Thomas: Da gibt es
Unterschiede. Die vereinsinterne Fanarbeit ist mittlerweile Lizenzrelevant. Das
nennt sich dann Fanverantwortliche. Dort arbeitet man verantwortlich für Verein
und Fans. Sozioprofessionelle Fanarbeit gibt es noch nicht so viel in der
Schweiz. Bern, Basel, Zürich, Luzern und der SCB.
Macht es Spass? Hört
sich nicht schlecht an, wenn man auf Arbeitszeit Fussballspiele besuchen kann.
Reto: Es ist ein
spezieller Job, das ist so. Ich habe im sozialen Bereich gearbeitet. Ich wollte
eigentlich einen Jugendarbeit-Job suchen. Bei der Stellensuche bin ich dann
darauf gestossen. Als ich den Vertrag unterschrieben hatte, wusste ich noch
nicht, dass wir uns für Europa qualifizieren. Und dann noch während der
Arbeitszeit an Fussballspiele zu gehen ist auch sehr positiv.
Was gibt es für
Schwierigkeiten?
Reto: Schwierig ist
es natürlich, dass man nie alle zufrieden stellen kann. Einfach, weil man stets
vermitteln muss. Man kommt da manchmal etwas zwischen die Fronten. Aber da muss
man darüber stehen. Und anders als bei einem Büro-Job müssen wir sehr flexibel
sein. Manchmal arbeitet man am Sonntag, kommt dann teils erst nachts um zwei
nach Hause, wenn der FCSG auswärts spielte. Aber das ist allgemein bei sozialen
Berufen so. Wir können auch nur schwierig planen. Die nächste Woche kann ruhig
werden. Am Dienstag kann aber auch ein Telefon kommen und auf einmal haben wir
gehörig zu tun.
Thomas: Das
faszinierende an diesem Job, neben der Tatsache, dass es ihn nur zehn Mal neben
uns gibt in der Schweiz, das man den Fussball spürt – bei allem, was wir
machen. Wir sind bei allen Protagonisten nahe dran und spüren auch dessen
Intensität. Es ist sehr spontan. Nicht auf Trainer oder Transfers bezogen. Wie
Reto gesagt hat: Die nächste Woche wird vermeintlich easy. Aber es kann am
Montag oder Dienstag etwas passieren und auf einmal haben wir alle Hände voll
zu tun. Das finde ich sehr spannend.
Ihr seid vorher
weiter weg gewesen vom Fussball. Jetzt seid ihr sehr nahe dran. Hat sich euer
Bild über den Fussball verändert?
Thomas: Was mich
extrem beeindruckt ist, das ich jetzt Gesichter dazu habe. Früher, vor etwa 15
Jahren, als ich noch regelmässig ins Espenmoos ging, kannte ich schon einige
Leute aus der Szene. Seit ich hier arbeite, bin ich einfach auch näher dran und
habe Gesichter zu diesem Ganzen, aus Club, Liga, Polizei und Politik. Man merkt
auch, wie hohe Wellen der FC St. Gallen in der Region schlägt, wie wichtig der
FC St. Gallen für die Region ist. Das finde ich sehr eindrücklich. Der FC St.
Gallen war zu den Zeiten im Espenmoos immer ein sehr nahbarer Verein. Nach den Turbulenzen
in den letzten Jahren ging man hier raus in den Westen und niemand wusste so
recht, was jetzt kommt.
Seid ihr da eher
Fussball-Romantiker? Oder sagt ihr: Hey, die AFG Arena ist doch modern, toll!
Ist ja auch so eine Frage mit der Torlinientechnik. Die einen sagen, sie wollen
am Montag darüber diskutieren, da sei
Fussball. Andere sagen da geht es um zu viel Geld. Her damit.
Reto: Ich bin da
eher Romantiker, wenn wir das mit der Torlinientechnik mal raus lassen.
Natürlich sehe ich auch diese Kommerzialisierung. Das sind zum Teil Zwänge.
Irgendwann muss man sich entscheiden. Bleibe ich in der Challenge League oder
baue ich ein modernes Stadion und versuche so zu investieren? Das beste
Beispiel ist St. Pauli in Deutschland. Die versuchen sich seit Jahren dieser
Kommerzialisierung irgendwie zu entziehen. Klar, das Stadion wurde schon
modernisiert. Dafür sind aber die Eckfahnen immer noch mit dem Totenkopf-Symbol
versehen. Man versucht dort einen Kompromiss zu finden. Das sagt dort aber auch
der Manager den Fans: „Wenn wir mindestens 2. Bundesliga spielen wollen, müssen
wir da mitziehen.“ Das ist der Lauf der Zeit.
Thomas: Ich
persönlich finde Pauli kein guter Vergleich. Dort hat man es geschafft eine
Marke zu kreieren. Der Club ist gut aufgestellt, man hat auch noch immer das
Millerntor, aber wenn du durch Hamburg läufst hat jeder zweite ein Pauli-Shirt
an. Man hat ja gar eine eigene Kleider-Linie. Ob ich Fussball-Romantiker bin?
Da bin ich hin und her gerissen. Auch die Geschichte mit der Europa League. Es
ist cool das zum miterleben und dann auch grosse Clubs zu sehen. Aber das ist
eine völlig andere Liga. Das ist nicht vergleichbar mit der Situation in
St.Gallen Hier muss und man darf sich auch der Kommerzialisierung hingeben. Ich
finde es aber am wichtigsten, dass man seine Identität nicht verliert. Die
Zweifel an der AFG Arena verstehe ich dann schon. Das hat weitaus weniger mit
dem FC St. Gallen zu tun als das Espenmoos. Die Geschichte fehlt und der
Standort ist weit ausserhalb des Zentrums. Ich denke aber, im Nachhinein hat sich dieser
Schritt gelohnt. Was mich persönlich stört, ist wenn während dem Spiel
Vermarktung betrieben wird. Wenn sich das im Drumherum abspielt, ist es ok.
Aber wenn dann während dem Spiel jede freie Minute und jeder Meter im Stadion
mit schillernder Werbung gefüllt wird, ist es meiner Meinung nach übertrieben.
Die 90 Minuten dürfen nicht von Werbung dominiert werden. Das Spiel steht im
Zentrum.
Reto: Mich stört es,
wenn der Fussball zum Event-Anlass wird. Man kann sich ja diese
Red-Bull-Vereine ansehen.
Leipzig unter
anderem.
Reto: Genau. Da
kannst du dir das Red Bull an den Platz bringen lassen. Es soll einfach um den
Fussball gehen. Wenn in der Pause etwas Musik läuft, ist es auch nicht schlimm.
Thomas: FIFA-Präsident
Sepp Blatter hat seine Vorstellung des Fussballs so erklärt: „Der Fussball soll
wie der Gang in die Oper sein.“
Höchst umstritten
dieser Mann.
Thomas: Vor allem in
den grossen Ligen und Verbänden, geht es nur noch ums Geld. Ich denke aber,
dass wir heute in St. Gallen eine glückliche Situation haben. Sie nehmen diese
Kritiken ernst. Sie nehmen den Espenblock ernst. Das sieht man auch bei den
Ticketpreisen. Die Stehplatzpreise sind in der Schweiz mit die günstigsten –
trotz des neuen Stadions. Man hätte auch problemlos die Stehplätze zur neuen
Arena abschaffen können. Da spürt man, dass es dem Club wichtig ist. Mein
erstes Heimspiel in der jetzigen Funktion besuchte ich anfangs 2012 gegen
Delemont in der Challenge League. Dort hat der Espenblock einen
Stimmungs-Boykott abgehalten. Da war nichts. Keine Stimmung. Da war nichts mehr
da.
Guter Abschluss. Was
ist Fussball ohne Fans?
Thomas: Ein Spiel
Reto: Habe die
gleiche Meinung. Das wäre dann einfach 5.Liga, wo du mit den Freunden eine
Runde bolzen gehst.
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