Montag, 4. November 2013

Jürgen Klopp - Fussball bekloppt

Die Geschichte des Jürgen Klopp. Ein Versuch den BVB-Trainer zu erklären.

Wir blicken nach Dortmund, wo Klopp seinen erst 2016 auslaufenden Vertrag um weitere zwei Jahre verlängerte. Die Verlängerung dieses Kontrakts - mehr ein Signal, denn notwendige Handlung. Klopp und Dortmund, das passt wie die Faust aufs Auge. Beides irgendwie schnörkellos, irgendwie knallhart, mit Ecken und Kanten versehen. Und auch: Irgendwie klar. Ruhrpott - eine Gegend, die noch immer als etwas rau gilt. Eine Gegend, wo der Fussball eine noch etwas grössere Bedeutung hat, als woanders. Direkt aus den Kohlenwerke ging es zum Ballspiel-Verein Borussia Dortmund. Hoffnung in einer Zeit, als sich in Deutschland bis zu sechs Millionen Bürger arbeitslos meldeten. Es scheint beinahe Schicksal zu sein, dass sich einige polnische Teamstützen in den Reihen der Schwarz-Gelben finden lassen. Schliesslich tummelten sich viele Einwohner aus dem Nachbarstaat zu Gründungsjahren beim BVB. Heute heissen sie Pisczek, Lewandoski oder Blasczikowski. Und der Trainer? Der heisst Jürgen Klopp. Irgendwie schnörkellos, irgendwie knallhart. Und ebenfalls mit Ecken und Kanten versehen. Wer kennt die Szenen nicht, wenn Klopp die Seitenlinie auf und ab tigert und nach Torerfolgen seiner Borussia die Faust ballt, um mit dieser wild in der Gegend herumzufuchteln. Auf seinem Kopf thront stets die Kappe mit der Aufschrift "Pöhler". Neben einem Verkaufsschlager für den BVB-Fanshop auch ein Bekenntnis für ehrlichen Fussball. Einen Pöhler, so sagt der Volksmund, nennt man schliesslich einen Strassenfussballer. Ähnlich kompromisslos der Spielstil des letztjährigen Champions-League-Finalisten. Pressing an vorderster Front, gepaart mit schnellem Umschaltspiel. "Wie Barcelona und Spanien.", so Klopp. Nur haben die, für seinen Geschmack, zu wenig Torabschlüsse. Deshalb gibt es unter dem Schwaben keine endlosen Passstafetten, sondern nur den direkten Weg zum Tor. Wir blicken auf Klopps Werdegang. Dieser steht im starken Kontrast zum heutigen Umschaltspiel der Dortmunder. Ein Weg, der so nicht geplant war. Gepflastert mit glücklichen Zufällen, viel Demut und jede Menge Lust auf Fussball. 

Es war im Februar 2001. Der FSV Mainz 05 steckte mit nur 19 Punkten aus 19 Spielen im tristen Tabellenkeller der 2. Bundesliga fest. Trainer Eckhard Krautzun berief eine Pressekonferenz ein. Es sollte bekannt gegeben werden, dass er fortan nur noch auf jüngere Spieler setzten würde. Manager Christian Heidel hatte aber andere Pläne. Er beurlaubte Krautzun noch vor dessen Pressekonferenz. Bis dahin musste er allerdings bereits einen neuen Trainer vorstellen - zumindest interimistisch. Auf einem Spaziergang entschied sich Heidel für eine ungewöhnliche Lösung. Als beinahe provokativer Gedanke sollten die Spieler sich selbst trainieren. Die Spieler seien, so Heidel, taktisch besser geschult, als die bisherigen Trainer, die am Mainzer Bruchweg an der Seitenlinie standen. Dass aber doch jemand auf der Trainerbank Platz nehmen kann, wählte er die Nummer des verletzten Jürgen Klopp. Das 33 Jahre alte FSV-Urgestein willigte nach drei Sekunden Nachdenken ein. Klopps erste Ansprache legte den Stein für zwei Siege aus den folgenden beiden Partien und löste nebenbei selbst bei Heidel so grosse Emotionen aus, dass dieser "am liebsten selbst gespielt" hätte. Klopp wurde anschliessend mit einem langfristigen Vertrag ausgestattet.

Ich Nachhinein sagt Klopp, er sei zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Dies begann schon zu Kinderzeiten. Behutsam wächst er in Glatten, einem 1500-Seelen-Dorf im Schwarzwald, auf. Sein Vater Norbert ist verrückt nach Sport und nimmt seinen einzigen Sohn regelmässig mit auf den Sportplatz. Nicht nur der Fussball steht dabei im Fokus. Klopp soll gar ein ganz passabler Tennis-Spieler gewesen sein. Jeden Sonntag aber ging es auf den Rasen. Dann wurde jeweils ein richtiges Training abgehalten, samt Sprints. Es sei sein grosses Glück gewesen, meint Klopp im Nachhinein, dass er den Sport auch so mochte. Sonst wäre es wohl schwierig gewesen den Ehrgeiz seines Vaters wegzustecken. Wertschätzung gab es selten. "Ich musste fast zwischen den Zeilen lesen, um Lob zu erkennen", sagt Klopp rückblickend, schiebt aber gleich nach: "Ich wusste schon, dass mein Vater stolz auf mich war." Sein Vater starb an Krebs, als Klopps Trainerkarriere in Mainz begann. "Ich bin mir sicher, der sieht, was ich heute mache. Der hat da einen entspannen Blick drauf.", sagt der gläubige Christ, der aus seiner Glaubensrichtung keinen Hehl macht. 

Mit dem von seinem Vater eingeimpften Ehrgeiz kennt er nur eine Richtung: Vorwärts. Die Aufgabe, sich nach so grossen Erfolgen weiter zu motivieren, beschreibt er als "Kindergeburtstag". "Ich habe eine riesige Lust", sagt er bei der Vertragsverlängerung. Demütig spricht er bei der Pressekonferenz stets von "wir". Die Co-Trainer Zeljko Buvac und Peter Krawietz, sowie David Wagner, Trainer der zweiten Mannschaft, sieht er nicht als seine Assistenten. Warum auch? Für Klopp sind sie eine unabdingbare Hilfe. "Sie können vieles besser als ich.", erklärt Klopp. Klar, sonst könne er ja auch alles alleine machen. Neben ihrer Rolle als Trautzeugen bei Klopps zweiter Hochzeit sind sie kontroverse Diskussionspartner. Krawietz: "Eine 30-sekündige Spielszene kann da durchaus zu einer stundenlangen Diskussion führen." Das schöne sei aber, so Krawietz weiter, dass man immer den gemeinsamen Nenner findet. Der Erfolg steht über allem. Dass man sich privat sehr gut versteht, sei eine schöne Begleiterscheinung, jedoch geht es Klopp vor allem um Erfolg, stellt Krawietz klar.

Spricht Klopp von seinen Spielern, dann vermag man schon ein gewisses Glänzen in seinen Augen zu erkennen. Er schätzt die Leistung seiner "Jungs", wie er sie väterlich nennt, wird nicht müde von "aussergewöhnlich" zu sprechen. Manuel Friedrich, so erzählte Klopp der NZZ einst, fragte damals seinen Mainzer Trainer, ob er nach Bremen wechseln soll. Klopp sagte: "Ja klar, mach das!" Tieftraurig legte er den Hörer auf. Später im Interview sprach er von einer starken Verbindung mit den Spielern. Seine Frau Ulla, Sozialpädagogin und Kinderbuch-Autorin, könne über fast jedes Kind, das sie betreut hat, eine Geschichte erzählen. "Wir verbringen eine Zeit unseres Lebens miteinander. Da sollte wir ein paar Dinge schon richtig mitnehmen", führt Klopp weiter aus. Die Zeilen wirken nachdenklich, gar emotional.

Irgendwie wirkt das alles überzeugend, was Klopp so von sich gibt. Diese unglaubliche Authentizität ist ansteckend. "Er kann nicht anders, als sich selbst zu sein.", erzählt Heidel und fügt an: "Und das ist gut so." Vielleicht ist "Kloppo", wie er bis heute unterschreibt, deshalb so ein Sympathieträger. Einer von uns und im Gegensatz zu vielen seiner Berufskollegen nicht den Mechanismen des durchaus oberflächlichen Geschäfts zum Opfer gefallen. Halt echt - wie der Leitsatz des Ballspiel-Verein Borussia Dortmund: Echte Liebe. Klopp und Dortmund - das passt wie die Faust aufs Auge. Oder wie der Trainer des Jahres 2012 zu Neuzugang Henrikh Mkhitaryan sagte: "Der passt zu Dortmund wie Arsch auf Eimer."


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