Montag, 16. September 2013

Porträt: FC Schalke 04

Schalke 04 im Porträt. Über hinterlassene Narben, königsblaue Trikots und warum Boateng ein Glücksgriff ist.

Ziemlich genau einen Monat ist es jetzt her. Kommentatoren-Kultfigur Frank Buschmann interviewte Kevin Prince Boateng. In rund 14 Minuten wurde so einiges besprochen. Selbst die Sportart Basketball wurde in diesem spannenden Interview thematisiert. Im Nachhinein sorgte allerdings vor allem das Bekenntnis zu Boatengs Ex-Verein Borussia Dortmund für Gesprächsstoff. Er sprach von einer "besonderen Bindung". Selbst das Wort "Lieblingsverein" fiel. Es ist durchaus bekannt, dass zwischen Champions-League-Finalist Dortmund und dem FC Schalke 04 eine gewisse Rivalität herrscht. Zu letzterem Verein wechselte Mittelfeldmotor Boateng vor knapp zwei Wochen. Als die Königsblauen ihren 14.4-Millionen-Neuzugang der Öffentlichkeit präsentierten, wurde der ghanaische Nationalspieler natürlich mit seiner schwarz-gelben Lobeshymne konfrontiert. Boateng lächelte in den prall gefüllten Presseraum der Veltins-Arena. Er habe mit dieser Frage gerechnet, gab er lächelnd zu verstehen. Sekunden später machte er aber in aller Ernsthaftigkeit klar, dass Schalke nun sein Lieblingsverein sei. "Andere Vereine möchte ich nicht nennen.", so Boateng weiter. Er schliesst ab. Mit Dortmund. Mit früher eben. Die Zeiten, wo er als Bad Boy galt und mit Hertha-Mitspieler Patrick Ebert in Berlin Autospiegel abtrat, sind vorbei. Der einstige Staatsfeind Nummer Eins des deutschen Fussballs gibt sich Mühe sein neues Gesicht zu wahren. Ein Gesicht, das erwachsen ist. Ein Gesicht, das der FC Schalke 04 genau braucht. Beim FC Schalke sitzt man nämlich ebenfalls auf Altlasten. Eine Vielzahl von Ereignissen hat beim 7-maligen deutschen Meister erhebliche Narben hinterlassen.

Will man das Ganze aufarbeiten, kommt man selbst beim wohl dramatischsten Finale der Bundesliga-Geschichte 2001 nicht drum herum. Seit jeher wird den Schalkern die so wichtige Winner-Mentalität abgesprochen. Diesen unglaublichen Willen zu gewinnen, woraus dann das vielmals zitierte "Bayern-Gen" resultiert, fehlt in Schalke. Sieben Platzierungen unter den ersten vier gab es seit diesem verhängnisvollen zweiten Platz 2001. Das letzte Mal, als die Meisterschale in den Schalker Himmel gestemmt wurde, war 1958. Die verrückten Fans der "Knappen" träumen vom Titel, um zurück auf Boatengs Vorstellung im Schalker Dress zurück zu kommen: Er sprach von verrückten Fans. Damit hat er total recht. Schalkes Jahrhundert-Trainer Huub Stevens sprach einmal davon, dass es überall "solche" Fans gibt. Nur ein Schalke gebe es eben unglaublich viele von diesen. In Schalke hat man das Gespür für den Verein. Vielleicht ein Gespür, wie man es so schnell nicht wieder findet. Im Gelsenkirchener Stadtteil Schalke ist man bescheiden. 30'000 Einwohner wurden 1930 gezählt. Die meisten von ihnen wurden aufgrund der vielen Arbeitsplätze im Bergbau in das Ruhrgebiet gelockt. In Zeiten von hoher Arbeitslosigkeit war man froh um jeden Mark, egal wie kräfteraubend der Job war. Die Trikots strahlen heute übrigens in einem liebevoll genannten "Königsblau", da der blaue Himmel jeweils das erste war, das die Arbeiter im Tageslicht sahen, wenn sie die dunklen Grubengänge verliessen. Der ehemalige Schalke-Manager Rudi Assauer beschrieb das mal so: "Schalke war die einzige Freude, die die Menschen hatten." Logisch also, dass die Identifikation mit dem Fussballclub somit höher ist, als woanders. Da die Schalker Volksseele ungemein abhängig ist vom Erfolg ihres Vereins, wartet man ungeduldig auf Titel. Finanzielle Fehltritte unter Felix Magath und die als unnötig kritisierte Trainerentlassung von Huub Stevens, bei dessen zweiter Amtszeit, liessen den Unmut des Schalker Publikums zuletzt wieder aufflammen. 

Stevens Nachfolger hiess Jens Keller. Keller ist ein weiteres Mosaiksteinchen dieser hinterlassenen Narben im Schalker Team. Mit wenig Kredit angetreten, wurstelte er sich resultatemässig durch die vergangene Rückrunde. Erst am letzten Spieltag kletterte man auf Platz vier, der für die Champions-League-Qualifikation berrechtigt. Keller machte nie ein Geheimnis daraus, dass ihn die anfangs masslos übertriebene Medien-Schelte verletzte. Im Haifischbecken Bundesliga ist dies aber eine Nebenerscheinung, mit welcher man zu leben hat. Nicht zuletzt deswegen wirkt der 42-jährige des Öfteren etwas verloren. Unterstützer nennen den ehemaligen Bundesliga-Spieler aber einen ausgesprochen kompetenten Fussballlehrer. 

Seit diesem Sommer bekommt man aber das Gefühl, das auf Schalke Ruhe einkehrt. Die letzten unerwünschten Ladenhüter aus der Magath-Ära wurden abgeben. Mit der Vertragsverlängerung von Julian Draxler wurde zudem ein wichtiges Zeichen gesetzt. Draxler, der alle Jugendabteilungen von S04 durchlaufen hat und als kommender Weltstar gilt, ist eine Identifikationsfigur für die ganze Region. Ihn gilt es so lange wie möglich im Ruhrpott zu halten. Die vertraglich festgelegte Ablösesumme liegt bei 45 Millionen Euro. Immerhin werden die Schalker also gut entschädigt, sollte sich der erst 19-jährige entscheiden, sein Glück woanders zu versuchen. Es liegt dabei an Jens Keller Draxler behutsam an der Weltspitze zu etablieren. Grundvoraussetzung dafür ist sicher die Teilnahme an der Königsklassen. Diese wurde erreicht, was allerdings auch eine zusätzliche Belastung bedeutet. Für diese wappnete man sich vorbildlich. Manager Horst Heldt hat ganze Arbeit geleistet, so dass es nicht abwegig ist vom besten Schalker Kader seit langem zu sprechen. Chef-Torjäger Klaas Jan Hunterlaar wurde Adam Szalai zur Seite gestellt. Szalai, wohl in den meisten Bundesliga-Teams sonst absoluter Stammspieler, zeigte seine Torgefahr bereits mehrfach in dieser Saison. Jens Keller wird seinem "Hunter" also mit gutem Gewissen eine Pause verordnen können - oder, wie jetzt, ihn durch die Verletzung Hunterlaars, als Stammkraft einsetzen können. Auf der Flügelposition wurde Christian Clemens vom FC aus Köln dazugeholt. Eine junger Spieler mit viel Power, der mehr als eine Alternative sein kann. Dazu kamen Santana (aus Dortmund), der wohl beste Ersatz-Abwehrspieler der vergangenen Bundesliga-Saisons und Aogo (vom HSV) Spieler von Konkurrenten. Während Kritiker den Transfer von Aogo als unnötig, da zu schwach und zu viel Gehalt, als Unsinn beurteilten, finden wir: Zu viel Gehalt? Ja. Zu schwach? Nein. Denn: Auf der Position des linken Verteidiger und des linken Flügels sind schlicht nicht bessere Alternativen auf dem Markt. Als Backup zu Draxler, Fuchs oder Youngster Kolasinac taugt Aogo allemal. Mit dem 17-jährigen Eigengewächs Max Meyer und Zuzug Goretzka hat man zwei potenzielle Granaten im Team, die mit Geschick und etwas Glück den Sprung als Stammspieler in absehbarer Zeit bereits schaffen können. 

Naja. Man hatte zumindest das Gefühl, das Ruhe einkehrt. In der Bundesliga zählte das Punktekonto nach drei Runden einen beschaulichen Punkt. Es scheint, man hätte die hinterlassenen Narben nicht überwunden. Es kam Boateng. Und mit ihm zwei Siege aus den letzten beiden Spielen. Sicher, Boateng ist nicht der überragende Spieler, der jedes Spiel entscheiden wird und die Klasse eines Riberys oder Götze mitbringt. Boateng kann aber dieses starke Schalke Team führen. Während Kapitän Höwedes bei fehlender Form überfordert scheint, soll Jermaine Jones zu wenig Akzeptanz innerhalb der Mannschaft geniessen. Boateng ist einer, der mit Power kommt. Einer, des das Team mitreissen kann mit einer einzelnen gelungenen Aktion. Gesehen schon letzten Samstag gegen Mainz, als das einzige Tor in einem schwachen Spiel schoss. Spiele, die Schalke in Zukunft gewinnen muss und, wie wir denken, auch wird. So übersteht Schalke auch die letzten schmerzenden hinterlassenen Narben und zeigt vielleicht bald ein erwachsenes Gesicht, das konstant ist. Nächstes Wochenende werden wir bereits erste Antworten erhalten, wenn Schalke auf den scheinbar übermächtigen FC Bayern trifft. Die älteren Schalke-Fans werden in den blauen Himmel schauen und hoffen, dass die Jungs mit den königsblauen Trikots siegen werden. Vielleicht durch ein Tor von Kevin Prince Boateng - für seinen neuen Lieblingsverein.

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